Markenlexikon

WhatsApp

Ursprungsland: USA

Die Amerikaner lieben die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär aufsteigt, seit sie das erste Mal erzählt wurde – wann immer das auch war. Sie ist sozusagen ein Teil des amerikanischen Traums, alles erreichen zu können, wenn man nur hart genug arbeitet. Jan Koum (* 1976), der Erfinder von WhatsApp, legte so eine Geschichte hin – zumindest fast. Bei ihm müsste es jedoch heißen, von der Putzkraft zum Milliardär.

Koum wurde in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, die damals noch zur Sowjetunion gehörte, geboren, wuchs aber in einem kleinen Dorf in der Nähe von Kiew auf. Sein Vater arbeitete als Bauleiter, seine Mutter war Hausfrau. 1992, als die Sowjetunion zusammengebrochen war und überall im Land das blanke Chaos herrschte, ging er mit seiner Mutter und seiner Oma nach Mountain View/California, mitten ins Silicon Valley. Der Vater blieb in Kiew, er wollte später nachkommen. Die Familie hielt sich zunächst mit Hilfsjobs über Wasser; die Mutter als Babysitterin, er selbst als Putzkraft im Supermarkt. Zeitweise waren sie sogar auf Lebensmittelmarken des Sozialamts angewiesen.

Als er 18 war, begann er sich für das Programmieren zu interessieren. Gleichzeit begann er ein Studium an der San Jose State University, das er bald wieder abbrach. Nebenher jobbte er in der IT-Abteilung bei der international tätigen Beratungsfirma Ernst & Young (EY) als Sicherheitstester. Die Verbindung der Familie zum Vater war zu dieser Zeit schon auf ein Minimum beschränkt, was einerseits daran lag, dass Auslandsgespräche recht teuer waren, anderseits daran, dass sein Vater am Telefon kaum etwas erzählte, weil er ständig Angst davor hatte abgehört zu werden. Zu Sowjetzeiten war das Abhören von Telefonen durch die staatlichen Geheimdienste eine nicht unübliche Praxis. 1997 starb sein Vater schließlich.

Bei Ernst & Young lernte Koum seinen späteren Mitgründer Brian Acton (* 1972) kennen, der an der renommierten Stanford University Informatik studiert hatte und bereits bei Konzernen wie Apple, Adobe Systems, Rockwell International und Yahoo gearbeitet hatte. Beide wurden enge Freunde, sie wohnten jahrelang zusammen und Acton holte Koum 1998 zu Yahoo, wo er selbst seit 1996 angestellt war. Im Jahr 2000 starb auch seine Mutter.

Im Herbst 2007 verließen beide Yahoo und tingelten erstmal eine Weile durch Südamerika. Anschließend hatten sie keine recht Lust mehr auf einen stressigen Job in der IT-Industrie, bewarben sich aber trotzdem bei Twitter und Facebook – allerdings ohne Erfolg. So lebten sie vorerst weiter von ihren Ersparnissen aus der Yahoo-Zeit. Anfang 2009 kaufte sich Koum ein iPhone und war sofort begeistert von den Möglichkeiten, die der neue App-Store von Apple Software-Entwicklern bot. Er kam dann auf die Idee, dass es toll wäre, wenn im Adressbuch des iPhones auch Statusmeldungen angezeigt werden würden. Damit wüsste jeder, was der andere gerade macht, wo er gerade ist und ob er vielleicht Lust auf gemeinsame Aktivitäten hat oder nicht. So etwas gab es zwar bereits bei Messengern und Chat-Systemen für Desktop-PCs und Blackberry-Telefone, aber nicht plattformübergreifend für Smartphones.

Für die neue App, von der noch nicht eine Zeile Code programmiert war, hatte er auch gleich einen Namen parat, der einerseits aus der Redewendung »What's up« (Was ist los?) und andererseits aus dem Wort »App« (für »Applikation« = Anwendungssoftware) bestand: WhatsApp. Kurz darauf, am 24. Februar 2009, an seinem 33. Geburtstag, gründete Koum die Firma WhatsApp Inc. Einige Monate später überredete Acton ein paar Freunde von Yahoo in das Startup 250.000 Dollar Kapital zu investieren, woraufhin er von Koum den Status eines Mitgründers und eine Beteiligung erhielt. Doch die erste Version von WhatsApp, die im Mai 2009 in Apples App-Store veröffentlicht wurde, funktionierte noch nicht besonders gut.

WhatsApp
WhatsApp

Genau zu dieser Zeit führte Apple den Push-Benachrichtigungsdienst ein, der über die Server des Unternehmens läuft und bei Benutzeraktionen, die Feedback verlangen, alle Nutzer automatisch informiert, auch wenn die App gerade nicht aktiv genutzt wird. Im Falle von WhatsApp bedeutete dies, dass der Nutzer über jede Statusänderung seiner Telefonkontakte sofort informiert wurde.

Koum und sein kleines Team aus vier Leuten erfuhren von ein paar Freunden, dass sie die Statusmeldungen dazu nutzten, kurz darauf per Textnachrichten (ähnlich der europäischen SMS) miteinander zu kommunizieren. Obwohl sie anfangs nicht an einen großen Erfolg glaubten – Textnachrichten waren damals in den USA nicht besonders verbreitet – implementierten sie in WhatsApp eine Messaging-Funktion, die überraschenderweise für einen gewaltigen Ansturm auf die App sorgte, weil die Leute sich dadurch die Gebühren der Mobilfunk-Provider sparen konnten. Ab Dezember 2009 war es auch möglich, Fotos per WhatsApp zu versenden. Im Laufe des Jahres 2010 wurde WhatsApp für weitere Plattformen wie Android (Google), Symbian (Nokia) und Windows Phone (Microsoft) veröffentlicht; eine BlackBerry-Variante existierte bereits seit Mitte 2009.

Da Koum auf WhatsApp keine Werbung, keine Spiele oder sonstige Gimmicks sehen wollte, lebte das Unternehmen lediglich von den Download- und Abogebühren (99 Cent/Jahr). Zwischen 2011 und 2013 investierte die Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft Sequoia Capital 58 Millionen US-Dollar in die WhatsApp Inc. Zu dieser Zeit beschäftigt das Unternehmen gerade einmal 50 Mitarbeiter.

Im Frühjahr 2012 kam es in einem Café in Los Altos/California erstmals zu einem Treffen zwischen Jan Koum und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der Interesse an einer Übernahme von WhatsApp zeigte. Anfang 2014 war es dann soweit: Facebook erwarb WhatsApp für die außergewöhnlich hohe Kaufsumme von 19 Milliarden US-Dollar, die größtenteils mit Facebook-Aktien bezahlt wurden (12 Mrd. Dollar). Der Übernahmevertrag wurde von Jan Koum, Brian Acton, Jim Goetz (Sequoia Capital) und Mark Zuckerberg in jenem Gebäude unterschrieben, in dem früher das Sozialamt untergebracht war, wo Jan Koum einst nach Lebensmittelmarken angestanden hatte.

2015/2016 veröffentlichte WhatsApp eine browsergestützte Version (WhatsApp Web) und eine Desktop-App (WhatsApp Desktop), die es Nutzern ermöglicht auch über PC/Notebook (Windows, Mac OS) auf die App zuzugreifen. Außerdem ist es seit 2016 möglich, Videotelefonate zu führen. 2018 kam mit WhatsApp Business ein weiterer Kommunikationskanal für kleine Firmen und deren Kunden dazu. 2018 wurde eine Bezahlfunktion in die App integriert (WhatsApp Payments).

Anfang 2016 hatte WhatsApp weltweit 1 Milliarde Nutzer, die täglich 42 Milliarden Nachrichten, 1,6 Milliarden Fotos und 250 Millionen Videos versandten. 2020 waren es bereits über 2 Milliarden Nutzer. Seit 2016 ist WhatsApp komplett kostenlos. In China ist die App seit 2017 dauerhaft gesperrt. WhatsApp steht seit langen wegen dem Datenschutz (u.a. Weitergabe von Daten an Facebook), mangelhafter Geschäftsbedingungen, unzureichendem Impressum sowie Sicherheitslücken in der öffentlichen Kritik.

Brian Acton verließ das Unternehmen 2017, anschließend unterstützte er den alternativen Messengerdienst Signal mit 50 Millionen Dollar. 2018 kündigte auch Jan Koum, nachdem Facebook zuvor angekündigt hatte, WhatsApp in Zukunft auch für Werbung nutzen zu wollen. Koum und Acton gehören laut der Forbes-Liste The World’s Billionaires seit Jahren zu den reichsten Menschen der Welt.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Pixabay.com, Public Domain