Markenlexikon
Der Ingenieur Henri Owen Tudor (1859 – 1928) entwickelte 1881 einen Blei-Akkumulator, aus dem Strom ohne Spannungsschwankungen gewonnen werden konnte. Blei-Schwefelsäure-Batterien hatte es auch vorher schon gegeben, doch mit ihrer Funktionsfähigkeit im alltäglichen Gebrauch war es noch nicht weit her. Im Prinzip handelte es sich noch um Versuchsgeräte. Tudor verwendete die von ihm entwickelten Akkumulatoren zur Beleuchtung seines Schlosses in Rosport (Luxemburg), das in einer Zeit, in der Kraftwerke noch Zukunftsmusik waren, lange Zeit das einzige Gebäude in Europa blieb, in dem rund um die Uhr elektrisches Licht zur Verfügung stand. Nur wenige Jahre zuvor hatte Thomas Edison, mit dem Tudor in Briefkontakt stand, die elektrische Glühbirne entwickelt.
Die Tudor-Batterien wurden mit Hilfe einer Dynamo-Maschine aufgeladen, die an eine Wassermühle angeschlossenen war. 1886 ließ Tudor seine Erfindung patentieren. Im gleichen Jahr stattete er den Ort Echternach (Luxemburg) mit einer elektrischen Beleuchtungsanlage aus, die die Straßenbeleuchtung versorgte sowie die Lampen in den Häusern des Dorfes. Anschließend gründete Tudor mit seinen Brüdern das erste Produktionswerk in Rosport.
1887 erwarb der deutsche Kaufmann Adolph Müller (1852 – 1928) die Produktions- und Vertriebsrechte für das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Russland, die Schweiz, die skandinavischen Länder sowie den Balkan und gründete gemeinsam mit Paul Büsche die Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems. Als Produktionsstätte diente ein altes Hammerwerk in Hagen-Wehringhausen. 1888 begann dort mit vierzig Angestellten die Produktion von Tudors Blei-Akkumulatoren. 1890 entstand unter Beteiligung der Elektrokonzerne AEG und Siemens sowie der Deutschen Bank die Accumulatoren-Fabrik Aktiengesellschaft (AFA).
Um die Jahrhundertwende hatte die AFA in Europa bereits eine Monopolstellung inne, vor allem nachdem man die spanischen und britischen Tudor-Gesellschaften übernommen hatte, die jedoch während des Ersten Weltkriegs wieder verlorengingen.
Für die Produktion von kleinen transportablen Blei-Akkumulatoren wurde 1904 in Berlin-Oberschöneweide die Tochtergesellschaft VARTA (Vertrieb, Aufladung, Reparatur transportabler Akkumulatoren) gegründet. Zum Einsatz kamen diese Batterien in Taschenlampen, Telegrafenanlagen und Signalapparaten.
1923 kaufte sich der frühere Tuchfabrikant und Industrielle Günther Quandt (Byk-Gulden-Lomberg, Dürener Metallwerke, Wintershall) mehrheitlich bei der AFA ein. Von 1936 bis 1938 errichtete die AFA in Hannover-Stöcken ein weiteres Werk zur Produktion von Autobatterien. Während des Zweiten Weltkriegs produzierte das Unternehmen Batterien für die deutschen U-Boote, für Torpedos und für die ballistische Großrakete A4 (V2), außerdem Auto-, Flugzeug- und Luftschiffbatterien.
Nach dem Ende des Krieges nahm die AFA noch 1945 die Produktion im Werk Hagen wieder auf, kurz darauf auch in Hannover. Hergestellt wurden zunächst Starterbatterien für die Militärfahrzeuge der Alliierten. 1946 lief in einer früheren Propellerfabrik in Ellwangen die Produktion von Trockenbatterien und Taschenlampen an.
Da sich der Name Varta in der Nachkriegszeit durch die Batterien sowie den Varta-Hotel- und Restaurantführer (ab 1957) immer mehr in der Öffentlichkeit durchgesetzt hatte, benannte sich die AFA 1962 in Varta um. Bei dieser Gelegenheit wurde der Verwaltungssitz von Hagen nach Frankfurt am Main verlegt, 1965 folgte auch der juristische Firmensitz. Von 1972 bis 1977 fungierte Varta als Holding für mehrere Quandt-Beteiligungen. 1975 wurde der Varta-Firmensitz nach Bad Homburg verlegt, wo auch die Quands ihr Domizil haben. 1977 kam es zur Aufteilung in die drei eigenständigen Unternehmen Altana, CEAG und Varta.
Mitte der 1990er Jahre begann die Auflösung der Varta Aktiengesellschaft (nun in Hannover ansässig), die sich nur noch mit der Verwaltung und Verwertung von Vermögen, Immobilien, Verbindlichkeiten und Beteiligungen beschäftigte und ab 2000 fast vollständig einer Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Bank gehörte.
Der Geschäftsbereich Industriebatterien in Hagen ging 1995 an den britischen Mischkonzern BTR, den Bereich Autobatterien in Hannover übernahm 2002 das US-Unternehmen Johnson Controls, der Bereich Gerätebatterien in Ellwangen wurde 2002 in ein Jointventure mit dem US-Batteriehersteller Rayovac eingebracht und die Mikrobatteriesparte in Ellwangen erwarb 2007 eine österreichische Investorengruppe, die diesen Bereich in das neugegründete Unternehmen Montana Tech Components (Reinach/Schweiz) eingliederte. 2011 veräußerte die Quandt-Familie ihre letzten Varta-Anteile an Montana.
2012 wurden die Montana-Gesellschaften Varta Microbattery Ellwangen, das 2009 gegründete Jointventure Volkswagen Varta Microbattery und das 2012 gegründete Unternehmen Varta Storage Nördlingen zusammengeschlossen. 2017 ging die Varta Aktiengesellschaft an die Frankfurter Wertpapierbörse.
2019 erwarb Varta von Energizer die Sparte Varta Consumer Batteries in Dischingen. Der US-Batteriehersteller hatte das Batteriegeschäft mit den Marken Rayovac und Varta 2018/2019 von Spectrum Brands (vormals Rayovac) gekauft, musste das europäische Geschäft (Varta) jedoch auf Geheiß der EU-Kartellbehörden abgeben. Die Sparte Autobatterien in Hannover verkaufte Johnson Controls 2019 an eine kanadische Private-Equity-Firma, die Johnson Controls Power Solutions daraufhin in Clarios umbenannte.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain