Markenlexikon

Union Carbide

Ursprungsland: USA

Die Union Carbide Company mit Sitz in Chicago entstand 1898 aus dem Zusammenschluss mehrerer Energieversorger aus Chicago und dem Nordosten der USA (Peoples Gas Light and Coke Company Chicago, Electro Gas Company, Lake Superior Carbide Company, Acetylene Light Heat and Power Company, Willson Aluminum Company). Hintergrund war die Entdeckung eines neuen Herstellungsprozesses von kristallinem Kalziumkarbid und dem brennbarem Gas Ethin (Azetylen) durch Thomas Leopold Willson (1860 – 1915) und James Turner Morehead (1840 – 1908). Die wesentlichen Initiatoren der Fusion waren George O. Knapp und Cornelius Kingsley Garrison Billings von der Peoples Gas Light and Coke Company und deren Tochtergesellschaft Electro Gas Company, die zuvor die Herstellungsrechte von Willson und Morehead erworben hatte.

Das Unternehmen produzierte in mehreren Werken (u.a. Sault Sainte Matie/Michigan, Holcomb Rock/Virginia, Glen Ferris/West Virginia, Lynchburg/Virginia) Kalziumkarbid, Azetylen (für Beleuchtungszwecke), Eisenlegierungen (Ferrosilicium, Ferrochrom; ab 1906) und Oxwell-Schweißgeräte (ab 1910).

1917 kam es zum Zusammenschluss mit der Linde Air Products Company (Sauerstoff), eine frühere Schwestergesellschaft des deutschen Linde-Unternehmens, der National Carbon Company (Kohlenstoff für Straßenlaternen, Kohlenstoffelektroden für elektrische Öfen, Trockenbatterien) und der Prest-O-Lite Company (Azetylen) zur Union Carbide and Carbon Corporation (New York).

In den 1920er Jahren stieg Union Carbide in die petrolchemische Industrie ein (u.a. Synthetisches Ethylen, Polyethylen, Polystyrol, Ethylenglycol Frostschutzmittel). Weitere Werke wurden u.a. in Clendenin/West Virginia (1920), South Charleston/West Virginia (1923), Texas City/Texas (1941) und Seadrift/Texas (1954) errichtet. 1939 erwarb das Unternehmen die Bakelite Corporation, die den von Dr. Leo Hendrik Baekeland entwickelten synthetischen Hartkunststoff Bakelite (Bakelit) für den nordamerikanischen Markt herstellte. Von 1947 bis 1984 stand das Oak Ridge National Laboratory (Oak Ridge/Tennessee) des US-Energieministeriums unter der Leitung von Union Carbide. In dieser staatlichen Forschungseinrichtung fand während des 2. Weltkriegs die Uran-Anreicherung zur Gewinnung von spaltbarem Uran 235 für die erste Atombombe statt. Bekannt wurde Union Carbide auch mit Eveready-Taschenlampen sowie Ucar- und Energizer-Batterien; die Eveready Battery Company hatte seit 1914 zur National Carbon Company gehört. Unter der Marke Glad wurden ab 1963 Verpackungsmaterialien aus Polyethylen vermarktet.

1957 wurde der Firmenname in Union Carbide Corporation (Danbury/Connecticut) geändert – das Unternehmen bestand zu dieser Zeit aus den vier Sparten Union Carbide Chemicals, Union Carbide Plastics, Union Carbide Consumer Products und Linde. Zu den wichtigsten Produkten gehörten u.a. industrielle Chemie für die Kernenergie, Ferrolegierungen, Polyethylen, lndustriegase, Kohleelektroden für Industrieöfen, Batterien, Frostschutzmittel und Verpackungsfolien.

In den 1950er und 1960er Jahren expandierten Union Carbide weltweit und verdoppelte den Umsatz; Anfang der 1970er Jahre war das Unternehmen der zweitgrößte US-Chemiekonzern nach Du Pont de Nemours. Fehlinvestitionen, geringe Gewinne, Überkapazitäten, fallende Preise in der Chemieindustrie, strengere Umweltschutzauflagen und vor allem das schwere Giftgasunglück in einer Union-Carbide-Pestizidfabrik in der indischen Stadt Bhopal, bei dem im Dezember 1984 mehrere tausend Menschen starben und weitere hunderttausende verletzt wurden (die genauen Zahlen sind bis heute nicht bekannt), brachten den Konzern jedoch an den Rande des Zusammenbruchs. Der Aktienkurs fiel in den Keller, es gab feindliche Ubernahmeversuche, die Mitarbeiterzahl sank fast um die Hälfte und mehrere Unternehmensteile, vor allem aus dem Bereich Customer Products, mussten zur Rettung des Unternehmens verkauft werden.

Das Pestizid-Werk in Rhodes bei Sydney (Australien) wurde 1985 geschlossen, das weltweite Agrargeschäft übernahm 1986 der französische Chemie- und Pharmakonzern Rhône Poulenc, die Everady Battery Company (Energizer, Everady, Ucar) ging 1986 an die Ralston Purina Company, die Autopflegeprodukte sowie das Verpackungsgeschäft (Ever Clean, Glad, Prestone, Scoop Away, Simoniz, STP) wurden 1986 unter dem Namen First Brands Corporation verselbstständigt, ebenso wie 1989 die Sparten Carbon (Ucar Carbon Company; seit 2002 GrafTech International Ltd.) und Industriegase (Union Carbide Industrial Gases Inc. – wurde 1992 in Praxair Inc. umbenannt).

Das Pestizid-Werk in Bhopal war zwischen 1972 und 1980 errichtet worden gehörte der Union Carbide India Limited (UCIL), die sich zu 51 Prozent im Besitz der US-Muttergesellschaft Union Carbide befand. Die anderen Anteilseigner waren der indische Staat, indische Finanzinstitute und private indische Investoren. Am 3. Dezember 1984 gelangte während der Durchführung von Wartungs-, Reinigungs- und Kontrollarbeiten Wasser in einen Methylisocyanat-Tank, was zu einer exothermen Reaktion führte, durch die Kohlenstoffdioxid freigesetzt wurde, das den Innendruck des Tanks stark erhöhte. Infolgedessen entwichen innerhalb von knapp zwei Stunden durch die Überdruckventile zwischen 25 und 40 Tonnen Methylisocyanat sowie andere Reaktionsprodukte (Dimethylamin, 1,3,5-Trimethylisocyanurat, 1,3-Dimethylisocyanura) in die Atmosphäre. Das Methylisocyanat verursachte bei den Opfern Verätzungen der Schleimhäute, Augen, Lungen und anderer innerer Organe.

Die hohe Opferzahl hängt auch mit der dichten illegalen Besiedlung des Gebiets direkt um die Fabrik zusammen (ca. 100.000 Menschen im Umkreis von einem Kilometer), die von den Behörden geduldet und später sogar legalisiert wurde. In der Fabrik gab es zahlreiche Sicherheitsmängel, die seit einer Sicherheitsüberprüfung im Jahr 1982 der Geschäftsführung von Union Carbide bekannt waren, aber nicht behoben wurden. Das Unglück wäre allerdings auch ohne die Sicherheitsmängel nicht zu verhindern gewesen, als das Wasser erst einmal im Tank war. Union Carbide geht bis heute davon aus, dass das Wasser absichtlich durch einen Schlauch in den Tank geleitet wurde (Sabotage). Der Konzern zahlte 1989 nach langen Verhandlungen und gegen Verzicht auf Strafverfolgung 470 Millionen Dollar an den indischen Staat, weitere 250 Millionen US-Dollar brachten Versicherungen auf.

1994 verkaufte die Union Carbide Corporation ihren Anteil an der indischen Tochtergesellschaft UCIL an das indische Tee-Unternehmen McLeod Russel (India) Limited aus Kalkutta (Williamson Magor Group), das UCIL anschließend in Eveready Industries India Limited (EIIL) umbenannte. Die Union-Carbide-Vorgängerfirma National Carbon Company war mit ihrer Tochtergesellschaft Eveready seit 1905 in Indien tätig gewesen, zunächst nur als Importeur und ab 1926 mit einer eigenen Fabrik in Kalkutta. EIIL konzentrierte sich anschließend auf die Produktion und Vermarktung von Batterien, Taschenlampen, Lichttechnik, elektrischen Hausgeräten und Tee. Das Werksgelände und die Fabrik in Bhopal wurden 1998 von der Regierung des indischen Bundesstaates Madhya Pradesh übernommen.

Mit einem Teil des Verkaufserlöses (90 Millionen US-Dollar) legte Union Carbide einen Fonds auf, der u.a. den Bau eines Krankenhaus in Bhopal finanzierte. 2010 wurden acht ehemalige leitende UCIL-Angestellte, u.a. Keshub Mahindra, von einem indischen Gericht der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu geringen Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt. Warren Anderson (1921 – 2014), von 1979 bis 1986 CEO von Union Carbide, wurde bis zu seinem Tod von der indischen Regierung mit einem internationalen Haftbefehl gesucht, die USA lehnten jedoch mehrere Auslieferungsgesuche ab. Anderson war bereits wenige Tage nach der Katastrophe, als er nach Bhopal reiste, zusammen mit dem UCIL-Präsidenten Keshub Mahindra kurzzeitig verhaftet worden, dann aber gegen eine Kaution wieder freigelassen worden. Daraufhin kehrte er mit einem Privatflugzeug zurück in die USA.

2000/2001 wurde Union Carbide von Dow Chemical übernommen. Die Union Carbide Corporation (Houston/Texas) ist bis heute eine Dow-Tochtergesellschaft.

Text: Toralf Czartowski