Markenlexikon
Die Ursprünge von Twitter gehen auf den Mitte 2005 gestarteten Podcast-Dienst Odeo aus San Francisco zurück. Entwickler und Gründer von Odeo waren die Programmierer Evan Clark Williams (Gründer/Entwickler von Pyra Labs und Blogger.com) und Noah Glass (Gründer/Entwickler von AudBlog). Williams hatte zuvor bei Google gearbeitet, Glass bei der Filmeffektefirma Industrial Light and Magic (ILM) sowie bei der Shockwave- und Flash-Entwicklerfirma Macromind/Macromedia. Etwa zur selben Zeit integrierte Apple ein Podcasting-Verzeichnis direkt in seine iTunes-Plattform, sodass sich Odeo umorientieren musste.
Gemeinsam mit dem Odeo-Programmierer Jack Dorsey und dem freien Hamburger Programmierer Florian Weber entwickelte Glass einen Kurznachrichtendienst, bei dem der Nutzer einen Text versenden konnte, den dann alle seine Freunde, Bekannten aber auch Außenstehende (Follower) lesen konnten. Dabei kam den Entwicklern die Tatsache zugute, dass es die in Europa bekannte SMS (Short Message Service) in den USA damals nicht gab; dort konnte man Text-Nachrichten nur innerhalb des selben Mobilfunknetzes versenden (Pager-System). Twitter wurde deswegen häufig »The SMS of the Internet« genannt. Noah Glass ließ sich auch den Namen Twitter (engl. »Gezwitscher«; anfangs Twttr geschrieben) einfallen. Dass man sich für 140 Zeichen (anstatt der möglichen 160 wie bei einer SMS) entschied, lag daran, dass die restlichen zwanzig Zeichen als Werbefläche vermarktet werden sollten.
Am 21. März 2006 versendete Jack Dorsey die erste Nachricht bzw. den ersten Tweet: just setting up my twttr. Weil Twitter sämtliche jemals geschriebenen Nachrichten archiviert, ist dieser erste Tweet bis heute erhalten. Laut diesem Archiv legten sich Jack Dorsey, der Odeo-Angestellte Christopher Isaac (Biz) Stone (von 2003 bis 2005 ebenfalls ein Google-Mitarbeiter), Noah Glass und Evan Williams die ersten vier Twitter-Konten an.
Die Odeo-Investoren waren von der neuen Geschäftsidee weniger überzeugt, sodass Williams, Stone und Dorsey deren Anteile (rund fünf Millionen Dollar) übernahmen und das Unternehmen 2006 in Obvious umbenannten (zu dieser Zeit hatte Twitter etwa fünftausend Nutzer). Der Odeo-Dienst selbst wurde 2007 an Sonic Mountain verkauft.
Kaum war die Firma umbenannt worden, wurde Noah Glass von Willams entlassen. Über die Gründe dafür ist viel spekuliert worden. Am wahrscheinlichsten ist ein interner Machtkampf zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Charakteren. Williams ist ein ruhiger, berechnender Mensch, der über das nötige Geld verfügte, die alten Investoren auszuzahlen, Glass ist eher laut und leidenschaftlich. Zudem wurde Glass die Intention nachgesagt, selbst Twitter-Chef werden zu wollen. Von da an verschwand der Name Noah Glass vorerst aus den Annalen der Firmengeschichte, obwohl er später dann doch noch eine Beteiligung an Twitter erhielt. Erst das 2013 erschienene Buch »Hatching Twitter« von Nick Bilton machte seine Rolle bei der Entwicklung von Twitter einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Im März 2007 wurde Twitter bei der Veranstaltung SXSW South by Southwest (Festivals, Konferenzen, Fachausstellungen) in Austin/Texas vorgestellt, woraufhin die Nutzerzahlen rasant stiegen. Einen Monat später entstand die eigenständige Firma Twitter, in die in der Folgezeit zahlreiche Kapitalgeber investierten. 2013 wurde Twitter erstmals an der New York Stock Exchange (NYSE) gelistet. Das Unternehmen verdient sein Geld hauptsächlich mit Online-Werbung (Textanzeigen, Verlinkte Twitter/Website Cards mit Bildern, Video Anzeigen, Call-to-Action Buttons). Zu den beliebtesten Twitter-Accounts mit den meisten Followern zählen vor allem die Accounts von Unterhaltungsstars, Sportlern, Politikern, Medien (TV-Sender, Zeitungen), Soziale Medienplattformen (Facebook, Instagram, YouTube), Behörden (NASA, The White House) und Unternehmen/Marken. Die Anzahl der Follower sagt allerdings nichts darüber aus, ob es sich um echte Personen handelt oder nur um gekaufte Social Bots.
Twitter wurde bald nicht mehr nur zur Kommunikation zwischen Privatpersonen verwendet, sondern verstärkt auch von Politikern (Wahlkampf), politischen Aktivisten (Koordination von Protesten), Medien, Öffentlichen Institutionen, Organisationen, Vereinen und Unternehmen (Werbung) zur Informationsweitergabe, aber auch zur Meinungsbeeinflussung. Ein Beispiel sind z. B. Shitstorms, die gezielt von Minderheiten zur Durchsetzung ihrer Ziele gegenüber der Mehrheitsgesellschaft eingesetzt werden. Bei zahlreichen sozialen und politischen Bewegungen der vergangenen Jahre spielte Twitter eine Rolle (u. a. Arabischer Frühling, G20-Gipfel in Toronto, Occupy Wall Street, Revolution in Ägypten, Proteste in Griechenland, Proteste in der Türkei, Stuttgart21, WikiLeaks). In einigen Ländern ist Twitter aus politischen Gründen komplett gesperrt (China, Iran, Nigeria, Nordkorea, Uganda), in anderen kam es in der Vergangenheit zur kurzzeitigen Sperrungen (Ägypten, Irak, Türkei, Venezuela). Das von Twitter ursprünglich für den Eigenbedarf entwickelte CSS-Framework Bootstrap wurde 2011 der Öffentlichkeit als Open-Source-Projekt zur Verfügung gestellt, sodass es jeder Webdesigner zur Erstellung eigener Webseiten frei verwenden kann.
2022 übernahm der Unternehmer Elon Musk (SpaceX, Tesla) Twitter für 44 Milliarden US-Dollar. Daraufhin wurde die Firma von der Börse genommen und in ein Privatunternehmen umgewandelt. Das Geld für den Twitter-Kauf stammte teilweise aus dem Verkauf von Tesla-Aktien sowie von anderen Investoren. 2023 wurde der Name der Betreiberfirma in X Corp. geändert und der Name des Dienstes in X (Musks Lieblingsbuchstabe).
Den Grund für den Kauf erläuterte Elon Musks in einem Twitter-Post: »Der Grund, warum ich Twitter gekauft habe, ist, dass es für die Zukunft der Zivilisation wichtig ist, einen digitalen Marktplatz zu haben, auf dem eine große Bandbreite an Meinungen auf eine gesunde Art diskutiert werden kann, ohne dass sie sich in Gewalt wandelt. Derzeit besteht die große Gefahr, dass sich die sozialen Medien in rechtsextreme und linksextreme Echokammern aufspalten, die noch mehr Hass schüren und unsere Gesellschaft spalten.« Allerdings soll Twitter laut Musk auch kein Ort des Grauens werden, wo alles ohne Konsequenzen gesagt werden kann.
Musk entließ nach der Übernahme einen Großteil der Twitter-Belegschaft, was auch dazu führte, dass der Dienst kaum noch moderiert wurde. Dadurch nahmen Posts mit Falschinformationen, Verschwörungstheorien und aggressiven verbalen Inhalten aus allen politischen Lagern enorm zu. In der Folge zogen sich zahlreiche große Werbekunden von X zurück, was wiederum zu Umsatzrückgängen bei der Betreiberfirma führte.
Die Betreiberfirma X Corp. gab die Zahl der weltweit täglich aktiven X-Nutzer 2022 mit 229 Millionen an. Wie viel davon tatsächlich echte Menschen sind und wie viel Fake-Accounts oder Social Bots ist unbekannt. Jack Dorsey, einer der Twitter-Mitgründer, rief 2023 mit Bluesky einen ähnlichen Dienst ins Leben.
Text: Toralf Czartowski • Foto: Pixabay.com, Public Domain