Markenlexikon
August Thyssen (1842 – 1926) errichtete 1867 mit mehreren Teilhabern ein Bandeisenwalzwerk in Duisburg. 1871 schied er aus diesem Unternehmen wieder aus und gründete mit finanzieller Unterstützung seines Vaters Friedrich, eines Drahteisenfabrikanten, in Styrum bei Mülheim an der Ruhr eine neue Firma, die zunächst Stahl- und Walzwerke betrieb. Ab 1877 erwarb Thyssen auch Kohlebergwerke, um die Rohstoffversorgung für die Koksherstellung zu sichern.
1926 schlossen sich die vier großen Stahlhersteller des Ruhrgebietes (Thyssen, Phoenix, Rhein-Elbe-Union, Rheinische Stahlwerke/Rheinstahl) gegen den Willen des Gründers, der im gleichen Jahr verstarb, zur Vereinigte Stahlwerke Aktiengesellschaft zusammen, wobei die Gründungsgesellschaften bestehen blieben. Sein Erbe übernahmen die beiden Söhne Fritz Thyssen (1873 – 1951) und Heinrich Thyssen (1875 – 1947): Fritz den Thyssen-Konzern und Heinrich, der die Fusion ebenso wie sein Vater ablehnte, erhielt alle anderen Vermögenswerte, die in der Unternehmensgruppe Thyssen-Bornemisza zusammengefasst wurden (Bergwerke, Werften, Energieunternehmen).
Fritz Thyssen, der Hitler anfangs unterstützt hatte, war einer der wenigen deutschen Großindustriellen, der sich gegen den Krieg aussprach. Bereits 1936 hatte er alle seine NSDAP-Parteiämter niedergelegt und sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt. 1939 musste er Deutschland verlassen. Nach der Besetzung Frankreichs wurde er jedoch in Cannes verhaftet, nach Deutschland gebracht und bis Kriegsende in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt. Nach dem Ende des Krieges ging er nach Argentinien, wo er 1951 starb.
1953 wurde Thyssen als eine der Nachfolgegesellschaften der Vereinigte Stahlwerke neugegründet. 1964 übernahm Thyssen den neben Mannesmann führenden deutschen Röhrenhersteller Phoenix Rheinrohr, dem seit 1955 auch die Hälfte der Hamburger Werft Blohm & Voss gehörte. 1960 entstand die Thyssen Handelsunion (Handel von Stahl und NE-Metallen).
1973 erwarb Thyssen mit dem Maschinenbaukonzern Rheinstahl, zu dem auch Henschel (Lokomotivbau, Wehrtechnik) und Rheinstahl-Eggers-Kehrhahn (Aufzüge, Fahrtreppen) gehörten, ein weiteres ehemaliges Mitglied der Vereinigten Stahlwerke. Rheinstahl bekam 1976 den neuen Namen Thyssen Industrie; die Bereiche Lokomotivbau und Wehrtechnik firmierten ab 1976 als Thyssen-Henschel. Die Werke in Kassel waren u. a. an der Entwicklung und dem Bau der Magnetschwebebahn Transrapid und des Hochgeschwindigkeitszuges ICE beteiligt. Die Schienenfahrzeugaktivitäten von Thyssen-Henschel wurden 1990 mit denen von ABB zusammengeschlossen (ABB-Henschel; ab 1997 Adtranz ABB Daimler Benz Transportation; ab 2000 Bombardier; seit 2021 Alstom).
1978 erwarb Thyssen den US-Autozulieferer Budd, einen früheren Hersteller von U-Bahn- und Eisenbahnwaggons, und 1984 die Aufzugssparte von MAN. Die Wehrtechnikaktivitäten von Thyssen-Henschel (gepanzerte Fahrzeuge) verkaufte Thyssen 1996 an die Industrie-Werke Karlsruhe Augsburg (IWKA), die sie 1999 an Rheinmetall weiterveräußerte. In den 1990er Jahren versuchte Thyssen in die Telekombranche einzusteigen, was jedoch fehlschlug.
1997 initiierte der Konkurrent Krupp-Hoesch gemeinsam mit der Deutschen Bank eine feindliche Übernahme des Thyssen-Konzerns, die jedoch zunächst fehlschlug. Dennoch kam es zu einer Fusion der Stahlbereiche beider Unternehmen. 1998 wurde aus der feindlichen Übernahme dann doch noch eine halbwegs freundliche, allerdings unter Führung von Thyssen (ThyssenKrupp).
2004 übernahm ThyssenKrupp die HDW-Werften mit Standorten in Kiel (Howaldtswerke), Rendsburg (Nobiskrug), Hamburg (Howaldtswerke, Deutsche Werft), Emden (Nordseewerke), Malmö (Kockums) und Skaramanga (Hellenic Shipyards). Die Schiffbauaktivitäten firmieren seit 2005 als ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Der zivile Schiffbau von Blohm + Voss wurde 2011 an einen britischen Finanzinvestor verkauft. 2022 erwarb TKMS die frühere Mathias-Thesen-Werft in Wismar. TKMS baut vor allem U-Boote und Marineschiffe.
Die Edelstahlsparte ThyssenKrupp Stainless wurde 2012 an den finnischen Konzern Outokumpu verkauft und anschließend in Inoxum umbenannt. Die Sparte Mining Technologies (Anlagen für die Bergbauindustrie) erwarb 2022 das dänische Unternehmen FLSmidth, ein Hersteller von Anlagen zur Zementherstellung. 2020 verkaufte ThyssenKrupp seine Aufzug- und Fahrtreppensparte ThyssenKrupp Elevator an ein Konsortium aus Finanzinvestoren sowie die RAG-Stiftung, die für die Finanzierung der dauerhaften Folgekosten des Steinkohlenbergbaus zuständig ist. Seit 2021 firmiert dieses Unternehmen als TK Elevator (TKE).
2024 beteiligte sich die Investmentgruppe EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Unternehmers Daniel Křetínský mit zwanzig Prozent an Thyssenkrupp Steel Europe. Das Unternehmen ist vor allem im Duisburger Norden in den Stadtteilen Hamborn und Bruckhausen tätig.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain