Markenlexikon
Der Informatiker Colin Huang Zheng (* 1980) arbeitete zunächst in den USA bei Microsoft und Google. 2006 kehrte er nach China zurück und wurde dort Teil des Teams, das die China-Niederlassung von Google aufbaute. 2007 gründete er die E-Commerce-Plattform Oka, die er 2010 wieder verkaufte. 2015 rief er den Online-Marktplatz Pinduoduo ins Leben, wo Chinesen anfangs vor allem landwirtschaftliche Produkte (Obst, Gemüse) günstig erwerben konnten. 2018 ging Pinduoduo in den USA unter dem Namen PDD Holdings an die Technologiebörse NASDAQ.
Da der chinesische Inlandsmarkt weitgehend gesättigt ist, startete die PDD-Tochter Whaleco aus Boston Im Herbst 2022 in den USA die Shopping-App Temu. 2023 folgten weitere Länder, u. a. Australien, Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, die Niederlande, die Schweiz und Spanien.
Das Kürzel Temu steht für den Slogan »Team up, price down« (Gemeinsam handeln, Preis senken), der sich auf den in China weit verbreiteten Gruppenkauf (auch Teamkauf oder Tuan Gou) bezieht. In chinesischen Messengern wie WeChat oder Tencent QQ schließen sich beispielsweise Pinduoduo-Nutzer zu Sammelbestellern zusammen, um niedrigere Preise zu erzielen.
Angeboten werden bei Temu u. a. Bekleidung, Elektronik, Haushaltswaren, Kosmetik, Schmuck, Schreibwaren, Schuhe, Spielzeug, Uhren und Werkzeug.
Die extrem niedrigen Preise kommen dadurch zustande, weil Temu das gesamte Geschäft bisher stark subventioniert, um einen Fuß in die weltweiten Märkte zu bekommen. Hinzu kommt die in vielen Ländern existierende Möglichkeit, Waren bis zu einem bestimmten Wert zollfrei versenden zu können (in den USA bis 800 Dollar, in der EU bis 150 Euro). Die Versandgebühren, die normalerweise die Kunden zahlen müssen, übernehmen Temu, die Hersteller und der indonesische Logistikdienstleister J&T Express, der die Waren von den Temu-Lagern in Kanton (Guangzhou) in alle Welt fliegt.
Zudem werden die chinesischen Hersteller, die oft auch mit Pinduoduo zusammenarbeiten, unter Druck gesetzt, so billig wie möglich zu produzieren. Gewinne machen sie dabei kaum, teilweise sogar Verluste. Die Preise, die sich danach richten, wie oft ein Produkt gekauft wird, werden indirekt von Temu festgelegt. Wer nicht mitmacht, dessen Produkte fliegen aus dem Shop. Der Temu-Betreiber Whaleco, der von den Herstellern eine Provision erhält, macht allerdings bisher ebenfalls Millionenverluste. Es gibt auch schon einige Hersteller, die Temu wegen der niedrigen Preise nicht mehr beliefern.
Angesichts des Erfolgs der App regt sich in der EU und in den USA aus unterschiedlichen Gründen Widerstand gegen Temu (schlechte Arbeitsbedingungen bei den Herstellern, mangelhafter Datenschutz, fehlende oder gefälschte Sicherheitskennzeichnungen, keine Produkthaftung durch den Hersteller, gefälschte oder kopierte Markenprodukte, minderwertige Produktqualität, schlechte Umweltbilanz durch den weltweiten Versand per Flugzeug, manipulative Werbung, Zollbetrug durch mehrere kleinere Einzelpakete).
Text: Toralf Czartowski