Markenlexikon

Telegram

Ursprungsland: Großbritannien

Die in St. Petersburg (damals Leningrad) geborenen Brüder Pavel Valerjevitsch Durov (* 1984), ein studierter Sprach- und Literaturwissenschaftler, und Nikolai Valeryevich Durov (* 1980), ein promovierter Mathematiker und Programmierer, entwickelten 2006 das soziale Netzwerk Vkontakte.ru (seit 2012 vk.com), das für die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion eine ähnlich große Bedeutung hatte wie Facebook für den Rest der Welt. Die Nutzerzahlen stiegen rasant an, Ende 2010 waren es bereits 99 Millionen. Bald gerieten die Durovs jedoch mit der russischen Regierung aneinander, die Accounts von Regierungskritikern wie Alexei Nawalny gesperrt sehen wollte. Schließlich zogen sie sich 2014 aus dem VK-Unternehmen zurück und verkauften ihre Anteile. Fortan lebten und arbeiteten sie in verschiedenen Städten, u.a. in Berlin, London, Paris, San Francisco, New York, Singapur und Turin, wo Pavel Durov auch den größten Teil seiner Kindheit verbracht hatte (sein Vater Valery, ein Philologie-Doktor, arbeitete dort).

Bereits 2013, als sie noch bei VK.com tätig waren, entwickelten sie den kostenlosen Messengerdienst Telegram für Smartphones, Tablets, Smartwatches und PCs, was kurzzeitig zu einem Rechtsstreit mit dem kremlnahen russischen Investmentfonds United Capital Partners führte, der sich 2013 an VK.com beteiligt hatte, und sich als Eigentümer von Telegram sah. Der Streit wurde jedoch 2014 beigelegt. Während Pavel vor allem für den geschäftlichen und finanziellen Teil zuständig ist, beschäftigt sich Nikolai mehr mit der Programmierung. Ein Großteil des App-Codes und des Verschlüsselungssystems von Telegram stammt von ihm.

Um sich Zensurmaßnahmen von authoritär regierten Staaten entziehen zu können, verschleierte Pavel Durov die rechtlichen Verhältnisse und die organisatorische Struktur des Messengers von Anfang an mit Hilfe von Briefkastenfirmen. Der Hauptsitz des in London ansässigen und registrierten Unternehmens Telegram Messenger LLP befand sich auf den Seychellen. Gesellschafter waren zwei Firmen mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln (Dogged Labs Ltd.) und in Belize (Telegraph Inc.). Daneben gab es noch weitere Unternehmen, die mit Durov und Telegram in Verbindung standen und teilweise in den App-Stores als Anbieter der App auftraten: die Pictograph LLC, die Durov LLC sowie die Digital Fortress LLC (Buffalo/New York).

Auch über die Finanzierung ist wenig bekannt, wenn man von dem Geld absieht, das die Gründer selbst in das Unternehmen stecken. Jeden Monat sollen über eine Millionen US-Dollar für alle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Messenger anfallen. Trotzdem erklärte der Gründer immer wieder »Gewinne zu erzielen wird nie das Ziel von Telegram sein«. Anfang 2018 startete Telegram einen ICO (Initial Coin Offering) und sammelte 1,7 Milliarden Dollar von Investoren ein (u.a. Benchmark, Kleiner Perkins, Sequoia Capital). Das Geld wurde jedoch nicht verwendet und 2019 an die Investoren zurückgezahlt. Ab 2021 schaltete Telegram erstmals Werbung in den Kanälen. Die privaten und geheimen Chats sollen dagegen werbefrei bleiben. Das so verdiente Geld soll ausschließlich zur Finanzierung der Infrastruktur und Gehälter der Entwickler verwendet werden. Im gleichen Jahr führte Telegram eine öffentliche Anleiheplatzierung mit einer Laufzeit von fünf Jahren im Wert von 1 Milliarde US-Dollar durch.

2017 verlegte Telegram seinen Hauptsitz nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort arbeiten etwa 25 Entwickler. Das Unternehmen firmiert nun als Telegram FZ LLC. Die Ursprungsfirma Telegram Messenger LLP wurde 2019 aufgelöst.

Als der bis dahin weltweit führende Messengerdienst WhatsApp 2014 vom Datenkraken Facebook gekauft wurde, stiegen die Telegram-Nutzerzahlen rasant an, was vor allem daran lag, dass Telegram neben der cloudbasierten Client-Server/Server-Client-Verschlüsselung (normale Chats, Gruppenchats) und einer dezentralen Server-Infrastruktur auch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbietet (Geheime Chats). Die nicht weiterleitungsfähigen Nachrichten werden dabei nur auf den zwei beteiligten Endgeräten gespeichert, nicht jedoch auf den Telegram-Servern. Darüber hinaus ist eine zeitgesteuerte Zerstörung der Nachrichteninhalte auf beiden Endgeräten möglich und eine gegenseitige Authentifizierung der Nutzer-Schlüssel mittels eines Bildes. Die erhöhe Sicherheit der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wussten vor allem Regimekritiker oder Journalisten in authoritär regierten Staaten wie etwa China, Indonesien, Iran, Saudi-Arabien, Russland, Weißrussland oder der Türkei zu schätzen, was dort zeitweise zu Blockaden des Dienstes führte.

Der Versuch Telegram 2018 in Russland zu blockieren schlug jedoch fehl. Telegram wechselte ständig die IP-Adressen, über die der Datenverkehr abgewickelt wurde, und griff dabei auch auf Webservice-Anbieter wie Amazon, Google oder Microsoft zurück. Durch die Sperrung der IP-Adressen funktionierten auch die Webseiten russischer Behörden sowie die von russischen oder in Russland tätigen Unternehmen zeitweise nicht mehr. Telegram blieb dagegen auch weiterhin in Betrieb. Bei der russischen Wirtschaft führte der Ausfall von Cloudspeichern, E-Payment-Diensten, Bankdienstleistungen, KI-Systemen, Kundendiensten und sonstigen Internetangeboten dagegen zu Verlusten in Milliardenhöhe.

Inzwischen haben die Telegram-Dienste (Chats, Geheime Chats, Gruppenchats, Kanäle, Bots, Sprachchats, Videonachrichten, Sprach- und Videotelefonie) weltweit rund 700 Millionen aktive Nutzer (Stand 2022). Neben den vielen Millionen Nutzern, die dort ihre private Kommunikation abwickeln, sind bei Telegram zunehmend auch Aktivistengruppen, Extremisten, Terroristen und Kriminelle aktiv, was damit zusammenhängt, das Telegram einerseits als sicherer Dienst vermarktet wird, andererseits kaum Inhalte zensiert oder User gesperrt werden. Eine Ausnahme bilden klare Verstöße gegen Gesetze oder das Urheberrecht (wenn sie durch User gemeldet werden) sowie Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Terrorismus stehen. Telegram wird juristisch nach wie vor als Messenger angesehen und nicht als Soziales Netzwerk wie etwa Facebook, obwohl an öffentlich zugänglichen Gruppenchats bis zu 200.000 Nutzer teilnehmen können. Sicherheitsexperten weisen auch immer wieder darauf hin, dass normale Telegram-Chats keineswegs sicherer sind, als die Chats anderer gängiger Messenger. Eine Ausnahme bilden die Geheimen Chats, die jedoch eher selten genutzt werden.

Text: Toralf Czartowski