Markenlexikon
Igor Ivanovich Sikorsky (1889 – 1972) gilt gemeinhin als Vater des Hubschraubers, obwohl er dieses Fluggerät keineswegs erfunden hat. Bereits Leonardo da Vinci konstruierte im 15. Jahrhundert auf dem Papier eine sogenannte Flugspirale; aus den griechischen Worten »helix« (Spirale) und »pterion« (Flügel) entstand auch die Bezeichnung Helikopter. Die Franzosen Louis & Jacques Breguet sowie Paul Cornu waren 1907 die Ersten, die mit ihren Drehflüglern 1,50 Meter vom Boden abhoben. Danach gab es noch zahlreiche weitere Versuche von Konstrukteuren wie Anton Flettner, Etienne Oehmichen, Heinrich Focke, Juan de la Cierva, Michail Mil oder Nikolaj Kamow. Auch Sikorsky hatte sich 1909/1910 an der Konstruktion von Drehflüglern versucht – vorerst noch vergeblich. 1912 wurde er Chefkonstrukteur der Russisch-Baltischen Waggonfabrik in St. Petersburg (Russo-Balt), die 1913 das erste viermotorige Flugzeug der Welt entwickelte und baute (Russky Vityaz). 1918 verließ er Russland jedoch und emigrierte ein Jahr später in die USA.
Dort gründete er 1923 in Roosevelt Field auf Long Island/New York eine Firma, die zunächst kleine Passagierflugzeuge und Flugboote entwarf. 1929 wurden der Sikorsky-Firmensitz und die Produktion in ein neuerrichtetes Werk nach Stratford/Connecticut verlegt. Im gleichen Jahr wurde Sikorsky von der Holdinggesellschaft United Aircraft and Transport Corporation (Boeing Airplane, Boeing Air Transport, Chance Vought, Hamilton Aero, Northrop Aircraft, Pacific Air Transport, Pratt & Whitney, Standard Steel Propeller, Stearman Aircraft, Stout Air Services, National Air Transport, Varney Air Lines) übernommen. Aus kartellrechtlichen Gründen musste sich die UATC 1934 in die drei Unternehmen Boeing Airplane (Flugzeugbau), United Aircraft (Chance Vought, Hamilton-Standard, Pratt & Whitney, Sikorsky) und United Air Lines (Fluglinien) aufteilen. Von 1939 bis 1943 bildeten Chance Vought und Sikorsky unter dem United-Aircraft-Dach eine gemeinsame Firma.
Zu dieser Zeit beschäftigte sich Sikorsky auch wieder mit der Entwicklung eines Hubschraubers. Im September 1939 gelang es ihm schließlich, mit dem Vought-Sikorsky VS-300 vom Boden abzuheben. Die endgültige Version dieses Typs hatte erstmals einen großen dreiblättrigen Hauptrotor und einen kleinen Stabilisierungsrotor am Heck, der das Drehmoment des Hauptrotors ausglich. Mit Ausnahme von schweren Transporthubschraubern, die häufig Tandemrotoren verwenden, werden die meisten Helikopter bis heute in dieser Bauweise gefertigt. Mit Hilfe der U.S. Air Force, die großes Interesse an dem Hubschrauber zeigte, entstand der Sikorsky R-4 (Erstflug 1942), der erste Hubschrauber der Welt, der in Serie hergestellt wurde.
Zu den wichtigsten Sikorsky-Helikoptern zählen der Transporthubschrauber S-55/H-19 Chickasaw (Erstflug 1949), der U-Boot-Jagd- und Transporthubschrauber S-58 (Erstflug 1954), dessen eigenwillige Form viele Piloten dazu verleitete, den überdimensional großen Bug mit Zähnen zu bemalen, der Mehrzweckhubschrauber S-61/H-3 Sea King (Erstflug 1959), die Transporthubschrauber S-65/CH-53 (Erstflug 1964) und S-70/UH-60 Blackhawk/Seahawk (Erstflug 1974), der Mehrzweckhubschrauber S-76 (Erstflug 1977) und der Großraumhubschrauber S-92 Helibus (Erstflug 1998). Viele Sikorsky-Modelle wurden auch von anderen Unternehmen in Lizenz gefertigt (Agusta, Mitsubishi, Sud-Est, Westland).
2015 verkaufte United Technologies (seit 1975 neuer Name von United Aircraft) Sikorsky Aircraft an Lockheed-Martin. Sikorsky betreibt neben dem Hauptwerk in Stratford/Connecticut noch Produktionswerke und Entwicklungszentren in Big Flats/New York, Bridgeport/Connecticut, Fort Worth/Texas, Grand Prairie/Texas, Huntsville/Alabama, Mielec/Polen (2007 Übernahme der Firma PZL Mielec), Shelton/Connecticut, Troy/Alabama, Trumbull/Connecticut und West Palm Beach/Florida.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Pixabay.com, Public Domain