Markenlexikon
Laurence Kennedy Marshall (1889 – 1980) und Vannevar Bush (1890 – 1974), zwei Ingenieure und Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT), und Charles Grover Smith (1888 – 1969), ein Mathematiker und Physiker, der in Harvard und an der University of Texas studiert hatte, gründeten 1922 in Cambridge/Massachusetts die American Appliance Company. Zunächst wollten sie einen von Smith entwickelten Heimkühlschrank ohne bewegliche Teile produzieren, doch reichte weder das Startkapital, noch war das Gerät konkurrenzfähig. So wandten sie sich schon bald der damals noch neuen Elektronik zu.
Während einer geschäftlichen Rundreise durch die USA hatte Marshall die Bedeutung des Radios erkannt, was ihn veranlasste, sich fortan diesem Geschäftsfeld zu widmen. Das erste Produkt war ein gasgefüllter Gleichrichter, der Wechselstrom aus der Steckdose in Gleichstrom wandelte, wie ihn Radiogeräte benötigten. Damit konnte auf die zuvor verwendeten großen, teuren und kurzlebigen Batterien verzichtet werden. Diese von Smith entwickelte Röhre (S-Tube) wurde unter dem Namen Raytheon verkauft, der soviel bedeutet wie »Strahl von den Göttern« (»Ray« = engl. »Strahl« + »theon« = griech. »von den Göttern«). Als eine Firma aus Indiana den Namen American Appliance für sich beanspruchte und ein Gerichtsverfahren anstrengte, benannte sich das Unternehmen 1925 in Raytheon um. 1928 wurde der Hauptsitz nach Newton/Massachusetts verlegt, 1941 nach Waltham/Massachusetts und 1961 nach Lexington, ebenfalls in Massachusetts. Ab 2003 befand er sich wieder in Waltham.
1940 gründete das MIT mit Hilfe von Raytheon das Radion Lab, wo die besten Ingenieure des Landes an der Weiterentwicklung der Mikrowellen- und Radartechnologie arbeiteten. Während des Zweiten Weltkrieges war Raytheon der Hauptlieferant aller Radarbestandteile für die alliierten Schiffe und Flugzeuge. Daneben entwickelten die beiden Raytheon-Ingenieure Robert Quimby und Percy Spencer den Auslösemechanismus für die erste Atombombe. Vannevar Bush, der Raytheon bereits 1938 verlassen hatte, war zu dieser Zeit wissenschaftlicher Berater des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt.
Nach dem Ende des Krieges, als die Rüstungsaufträge kurzzeitig wegfielen, musste sich das Unternehmen neue Geschäftsfelder suchen. 1945 fand Percy Spencer durch Zufall heraus, dass man mit Mikrowellen Speisen erwärmen konnte. 1947 präsentierte Raytheon den ersten Mikrowellenofen (Radarange), ein zwei Meter hohes und vierhundert Kilogramm schweres Gerät. Nachdem Raytheon 1965 den US-Hausgerätehersteller Amana Refrigeration übernommen hatte, kam ein kleineres Mikrowellengerät für den Haushalt auf den Markt (Amana Radarange). Die Tochtergesellschaft Amana wurde erst 1997 verkauft. In den 1950er Jahren fertigte Raytheon auch Transitorradios und Transitoren, die vor allem bei Hobbybastlern gefragt waren. Der Versuch gemeinsam mit Honeywell einen eigenen Computer zu entwickeln schlug Mitte der 1950er Jahre fehl.
Ab 1948 beschäftigte sich Raytheon neben der Radartechnik mit der Entwicklung und dem Bau von militärischen Raketen. Die gemeinsam mit Convair und Fairchild Aircraft entwickelte SAM-N-2 Lark war 1950 die erste Lenkwaffe, die ein fliegendes Zielobjekt zerstören konnte. Gemeinsam mit Hughes und RCA wurde das Flugabwehrsystem MIM-104 Patriot entwickelt (Indienststellung 1981). Die meisten Kampfflugzeuge der USA sind zudem mit Radarsytemen von Raytheon ausgestattet (F-15 Eagle, F/A-18 Hornet, F-22 Raptor, B-2 Spirit, RQ-4 Global Hawk).
1980 übernahm Raytheon die Beech Aircraft Corporation, einen Hersteller von Geschäftsreiseflugzeugen (Beechcraft) und 1993 von British Aerospace den Bereich Geschäftsflugzeuge (BAe Corporate Jets, Arkansas Aerospace) sowie den traditionsreichen Namen Hawker (vorm. Hawker-Siddeley), was 1994 dazu führte, dass Beech Aircraft und Raytheon Corporate Jets (Hawker) zur Raytheon Aircraft Corporation zusammengeschlossen wurden. Das gesamte zivile Flugzeuggeschäft verkaufte Raytheon jedoch 2007 wieder.
1995 erwarb Raytheon das deutsche Marinetechnik-Unternehmen Anschütz aus Kiel, 1996 das Verteidigungsgeschäft von Chrysler und 1997 das Verteidigungsgeschäft von Texas Instruments sowie Hughes Aircraft von GM/Hughes Electronics. Durch diese Übernahmen kam Raytheon in den Besitz von Raketensystemen wie AGM-65 Maverick (Hughes), AGM-88 HARM (Texas Instruments), AIM-120 AMRAAM (Hughes), AIM-7 Sparrow (Hughes), BGM-109 Tomahawk (General Dynamics, McDonnell-Douglas, Hughes), BGM-71 TOW (Hughes), FGM-148 Javelin (Texas Instruments), FIM-92 Stinger (General Dynamics, Hughes) und Paveway (Texas Instruments).
2020 schloss sich Raytheon mit United Technologies (Carrier, Collins Aerospace, Otis, Pratt & Whitney) zusammen, wobei sich United Technologies in Raytheon Technologies umbenannte. Gleichzeitig wurden Carrier (Klimaanlagen) und Otis (Aufzüge, Fahrtreppe) an die Börse gebracht.
2023 benannte sich Raytheon Technologies in RTX um – mit den drei Sparten Collins Aerospace (zivile Luft- und Raumfahrt), Pratt & Whitney (Flugzeug- und Hubschraubertriebwerke) und Raytheon (Verteidigungssysteme). Die wichtigsten Standorte befinden sich in den USA (Andover/Massachusetts, Arlington/Virginia (seit 2022 Hauptsitz), Cedar Rapids/Idaho, Charlotte/North Carolina, Chula Vista/California, Dulles/Virginia, East Camden/Arkansas, East Hartford/Connecticut, El Segundo/California, Farmington/New Mexico, Forest/Mississippi, Huntsville/Alabama, Indianapolis/Indiana, McKinney/Texas, San Antonio/Texas, San Diego/California, Tucson/Arizona, Tewksbury/Massachusetts, Waltham/Massachusetts, Windsor Locks/Connecticut, Winston-Salem/North Carolina), Australien (Canberra), Großbritannien (Harlow/Essex/England), Saudi-Arabien (Riad) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (Abu Dhabi).
Text: Toralf Czartowski