Markenlexikon
Paul Ehrlich (1849 – 1925) entwickelte 1877 ein mechanisches Instrument, das durch das Abtasten von Lochscheiben mehrstimmige (polyphone) Melodien erzeugten konnte (Polyphon). In der Folgezeit entstanden mehrere Firmen, die diese oder ähnliche automatischen Lochplattenspieldosen herstellten, u.a. die 1889 von Gustav Adolf Brachhausen und Ernst Paul Rießner in Leipzig gegründeten Polyphon Musikwerke. Neben Polyphonen produzierte das Unternehmen auch Sprechanlagen, Orchestrions, Spielautomaten, Schreibmaschinen (Polygraph) und von 1904 bis 1910 sogar Automobile (Polymobil).
1917 erwarb Polyphon die 1898 gegründete Deutsche Grammophon Gesellschaft (Hannover), die ehemalige Tochter der britischen The Gramophone Co. Ltd. aus London, die während des 1. Weltkriegs von der deutschen Regierung als »Feindvermögen« beschlagnahmt worden war. Da die Bezeichnung Grammophon bzw. Gramophone eine Schutzmarke der The Gramophone Co. Ltd. (später EMI) war, durfte Polyphon nach dem Krieg im Ausland nicht mehr unter dem Namen Deutsche Grammophon sowie dem His-Master's-Voice-Logo auftreten. Für die ausländischen Märkte verwendete man daher ab 1924 die schon seit 1913 existierende Polyphon-Marke Polydor, die zuvor u.a. auf Grammophon-Federmotoren und -Nadeln zu finden war. Eine der ersten ausländischen Polydor-Niederlassungen entstand 1927 in Tokyo.
1932 schloss sich Polyphon vollständig mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft zusammen und übernahm auch gleich deren Namen. Unter dem Markenzeichen Polydor wurden fortan vor allem Schallplatten mit populärer Tanzmusik veröffentlicht, während das Label Deutsche Grammophon vorranging für klassische Aufnahmen Verwendung fand. 1937 übernahmen die Deutsche Bank und die Telefunken Gesellschaft, seit 1932 selbst im Besitz einer eigenen Plattenfirma, die Deutsche Grammophon Gesellschaft und 1941 wurde der Elektrokonzern Siemens & Halske neuer Eigentümer.
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wuchs die Deutsche Grammophon Gesellschaft schnell wieder zur führenden deutschen Plattenfirma heran. Und auch im Ausland gab es bald auf allen Kontinenten Polydor-Niederlassungen (u.a. 1954 London, 1969 New York), die in der Polydor International GmbH zusammengefasst waren. 1950 zog Polydor von Hannover nach Hamburg um, 1956 folgte auch die Hauptverwaltung der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Bis in die 1950er Jahre hinein gab es von Polydor auch noch Musikschränke (Plattenspieler/Plattenwechsler, Radio), wobei die Geräte meist von anderen Herstellern stammten (u.a. Siemens, Perpetuum-Ebner).
1962 gründeten Siemens und der niederländische Elektrokonzern Philips das Jointventure Gramophon-Philips Group und erwarben an ihren im Musikbereich tätigen Tochtergesellschaften Deutsche Grammophon Gesellschaft (DGG) und Philips Phonographische Industrie (PPI; ab 1967 Phonogram; Labels: Fontana, Mercury, Philips, Vertigo) wechselseitig Beteiligungen, Philips 50 Prozent an DGG und Siemens 50 Prozent an PPI. Als internationale Holding für die Siemens- und Philips-Musikaktivitäten entstand 1972 das Jointventure PolyGram (POLYdor + PhonoGRAM), an dem Philips und Siemens zu je 50 Prozent beteiligt waren.
PolyGram erwarb in den nächsten zwanzig Jahren zahlreiche europäische und amerikanische Plattenfirmen (u.a. 1972 MGM Records, Verve Records; 1975 Metronome Musik; 1976/1981 RSO Records; 1977/1980 Casablanca Records; 1978 Barclay; 1980 Decca London; 1982 20th Century-Fox Records; 1989 A&M Records, Polar Music, Sweden Music, Welk Music Group/Vanguard Records, Cedarwood Music, Island Records; 1991 Sonet; 1992/1995 Interscope; 1993 Motown; 1994 Def Jam Records; 1995 Rodven Records). Ebenfalls durch eine Reihe von Übernahmen, die 1980 mit dem Erwerb von Casablanca Record & FilmWorks ihren Anfang nahm und 1995 mit dem Kauf der International Television Corporation (ITC) ihren Höhepunkt erreichte, entstand die Filmgesellschaft PolyGram Filmed Entertainment. 1975 etablierte die Deutsche Grammophon Gesellschaft das Compilations-Label PolyStar, auf dem Hit-Zusammenstellungen veröffentlicht wurden.
Die PolyGram-Aktivitäten in den USA (Casablanca Records, Mercury Records, MGM Records, Phonogram, Polydor, RSO Records, Verve Records) wurden 1981 unter dem Dach von PolyGram Records (New York) zusammengefasst. Das war auch gleichzeitig das Ende des Labels Philips im Bereich Popmusik; fortan gehörte Philips neben Decca und Deutsche Grammophon zum Bereich PolyGram Classics. Für den Pop- und Rockbereich der PolyGram-Gruppe waren nun die Labels Casablanca, Mercury, Polydor und Vertigo zuständig. Infolge der Übernahmen wurden mehrere Kataloge an Polydor übertragen (u.a. MGM, Polar, RSO).
Nachdem 1983 ein Zusammenschluss mit der Musiksparte von Warner Communications (WEA) am Einspruch der US-amerikanischen und deutschen Kartellbehörden gescheitert war, erwarb Philips weitere vierzig Prozent der PolyGram-Anteile und 1987 auch den Rest. 1988 wurde Polydor eine eigenständige Firma (Polydor GmbH, Hamburg). 1989 brachte Philips die PolyGram-Gruppe teilweise an die Amsterdamer Börse.
1998 verkaufte Philips die PolyGram-Gruppe an den kanadischen Spirituosenkonzern Seagram, dem bereits die Universal Studios und die Universal Music Group, die frühere MCA Music Entertaiment Group, gehörten. Seagram integrierte PolyGram daraufhin in die Universal Music Group. Gleichzeitig wurde die Polydor GmbH in Universal Music GmbH umbenannt.
Zu den bekanntesten Interpreten und Bands, die ihre Platten auf dem Polydor-Label veröffentlichten, gehören u.a. Abba, André Rieu, Andrea Bocelli, Barclay James Harvest, Bata Illic, die Bee Gees, Bert Kaempfert, Bill Ramsey, Bruce Low, Caterina Valente, Chris Roberts, Daliah Lavi, das Hazy-Osterwald-Sextett, Freddy Quinn, Gus Backus, The Hollies, Hubert Kah, Ivo Robic, James Brown, James Last, Jimi Hendrix, Johannes Heesters, Karel Gott, Level 42, Lilian Harvey, Matthias Reim, Max Greger, Nino de Angelo, Oliver Onions, Opus, Peter Alexander, Peter Kraus, Plácido Domingo, Robin Gibb, Ronan Keating, Rosenstolz, Roy Black, The Rubettes, Ted Herold, Theo Lingen, Tony Sheridan, Udo Lindenberg, Vangelis, Visage, Wencke Myhre und The Who.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Public Domain