Markenlexikon
Christian Gottlob Schmidt (1844 – 1884) und Heinrich Stoll (1847 – 1900) gründeten 1873 in Riedlingen an der Donau eine Mechanische Werkstätte zur Herstellung von Strickmaschinen. Schon drei Jahre später schied Stoll aus dem Unternehmen wieder aus und Schmidt verlegte den Firmensitz 1880 nach Neckarsulm in eine frühere Säge- und Gipsmühle. Nach dem Tod Schmidts wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Über Fahrräder (ab 1886) und Motorräder (ab 1901) kam das Unternehmen, das ab 1892 unter dem Kürzel NSU (für Neckarsulm) auftrat und sich 1897 in Neckarsulmer Fahrradwerke umbenannte, 1906 zum Automobilbau. Die Produktion von Strickmaschinen war schon 1892 eingestellt worden. Zunächst stellte NSU dreirädrige Fahrzeuge und kleine Lieferwagen (Sulmobil) her sowie Nachbauten des belgischen Autoherstellers Pipe (NSU-Pipe). Während des Ersten Weltkriegs produzierte das Unternehmen, das sich nun Neckarsulmer Fahrzeugwerke nannte, auch Armeelastwagen. Hauptprodukte blieben aber noch lange Zeit Fahrräder und Motorräder. Vor dem Ersten Weltkrieg war NSU neben DKW einer der weltgrößten Motorradhersteller.
1925 errichtete NSU in der benachbarten Stadt Heilbronn eine neues Autowerk. Der Zusammenschluss mit der bankrotten Berliner Karosseriebaufirma Schebera (1926) zur NSU Vereinigte Fahrzeugwerke führte jedoch zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Mit Hilfe des italienischen Fiat-Konzerns und der Dresdner Bank wurde 1929 ein neues Unternehmen gegründet (NSU Automobil), das die Werksanlagen in Heilbronn übernahm. Die dort gefertigten Fahrzeuge – alles Fiat-Abkömmlinge – kamen als NSU-Fiat auf den Markt.
NSU Neckarsulm gab die Autoproduktion 1932 auf und widmete sich ganz den Zweirädern (Motorräder, Motorfahrräder, Motorroller). 1938 kam es erneut zu einer Umfirmierung, diesmal in NSU Werke; ab 1960 nannte sich das Unternehmen dann NSU Motorenwerke. In den 1950er Jahren war NSU wieder der größte Motorradhersteller der Welt. In dieser Zeit gewannen NSU-Motorräder auch zahlreiche Titel und Weltrekorde. In den frühen 1960er Jahren, als die Motorradwelle aufgrund erschwinglich gewordener Automobile allmählich abebbte, zog sich NSU aus der Produktion von Zweirädern zurück; 1963 wurde zunächst die Motorrad-Produktion beendet, 1965 auch die der Motorfahrräder.
1953 begann NSU erneut mit der Entwicklung eines Automobils. Anfangs waren das nur dreirädrige Kabinenroller mit einem Motorradmotor, aber schon 1957 wurde daraus ein vollwertiger Kleinwagen. 1958 nahm NSU die Autoproduktion mit dem NSU Prinz (1958 – 1973) wieder auf, was jedoch zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen mit Fiat führte. Schließlich benannte Fiat die Firma NSU Automobil 1959 in Neckar Automobilwerke um, verwendete das Markenzeichen NSU aber noch bis 1966. Anschließend kamen die Fiat-Fahrzeuge in Deutschland für zwei Jahre als Neckar auf den Markt und 1973 stellte das Unternehmen die Fiat-Produktion in Heilbronn schließlich ein. In Heilbronn blieb aber die deutsche Vertriebsgesellschaft von Fiat.
Den heckgetriebenen Prinz gab es in verschiedenen Ausstattungsvarianten und zwei Modellgenerationen: der rundlichere Typ 40 (Prinz I, II, III, 30, 30E) wurde von 1958 bis 1962 gebaut, der größere und kantigere Typ 47 (Prinz 4, Prinz 4S, Prinz 4L) von 1961 bis 1973. Das Karosserie-Design des Typ 47 lehnte sich an das des Chevrolet Corvair der ersten Generation an (1959 – 1969), dessen Gürtellinie von einer umlaufenden Sicke dominiert wurde. Auch der Fiat 1300 und der sowjetische ZAZ-966/968 Saporoshez hatten dieses Design-Merkmal, das eigentlich mehr zur Erhöhung der Steifigkeit dient, übernommen. Unter dem Namen Prinz wurden auch das Coupé Sport-Prinz (1959 – 1967) sowie bis 1967 der Prinz 1000 (NSU 1000) und der Prinz 1000 TT (NSU TT/1200 TT) vermarktet.
Das zweisitzige Cabrio NSU Spider (1963 – 1967) war das erste Serienauto der Welt mit einem Wankel-Motor (Verbrennungsviertakt-Otto-Motor mit Dreh- oder Kreiskolben), der in den 1950er Jahren von dem deutschen Ingenieur Felix Wankel (1902 – 1988) entwickelt und 1957 erstmals erfolgreich getestet worden war. Die Wankel-Motoren waren im Vergleich zu Hubkolbenmotoren leiser, kleiner und leichter.
Der NSU 1000 mit Vierzylinder-Heckmotor (1963 – 1972) wurde zu einem der beliebtesten Autos der späten 1960er Jahre und die Sportversionen (NSU Prinz 1000 TT, NSU TT/1200 TT, Prinz 1000 TTS/NSU 1000 TTS) erwiesen sich auch im internationalen Motorsport als überaus erfolgreich.
Ein Meilenstein der Automobilgeschichte war der von Claus Luthe designte NSU RO80 (1967 – 1977) mit Doppelrotor-Wankelmotor. Die formschöne Limousine mit ausgeprägter Keilform war ihrer Zeit technisch weit voraus. Die anfänglichen Kinderkrankheiten (vor allem Motorschäden durch undichte Dichtleisten an den Kolbenenden), hoher Verbrauch und hohe Entschädigungszahlungen an unzufriedene Käufer, brachte das Unternehmen jedoch in ernste Schwierigkeiten, die zur Übernahme der NSU Motorenwerke durch die zum Volkswagen-Konzern gehörende Auto-Union Ingolstadt (Audi) führten. Da Audi NSU Auto Union mit dem Audi 100 und dem RO80 zwei Oberklassemodelle im Programm hatte, wurde der Bau des RO80 1977 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren die technischen Probleme des RO80 allerdings längst behoben. Insgesamt wurden nur 37.406 Exemplare produziert.
Mit dem Ende des RO80 gab man auch die Marke NSU auf. Der letzte von NSU entwickelte Pkw K 70 kam als VW K 70 (1970 – 1975) auf den Markt. Das Unternehmen Audi NSU Auto Union wurde 1985 in Audi umbenannt. Die Schließung des NSU-Werkes in Neckarsulm konnte 1975 durch einen Protestmarsch der Beschäftigten von Neckarsulm nach Heilbronn verhindert werden.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain