Markenlexikon
Der Unternehmer Adolf Törngren (1824 – 1895) erbte 1859 das Landgut Nokia an den Ufern des Flusses Nokianvirta (Nokia-Fluss), rund dreißig Kilometer westlich der finnischen Stadt Tampere. Der Name Nokia leitet sich vermutlich von einer alten finnischen Bezeichnung für Biber, Marder oder alle dunklen Pelztiere ab. Bald darauf heiratete er die Schwester des Bergbau-Ingenieurs Knut Fredrik Idestam (1838 – 1916), der seit 1865 in der Nähe von Tampere eine Papierfabrik betrieb. Nachdem Törngren 1866 Bankrott gegangen war, erwarb Idestams Firma den Nokia-Besitz, um dort eine zweite Papierfabrik zu errichten. 1871 gründeten Idestam und der finnische Politiker Leo Mechelin (1839 – 1914) die Aktiengesellschaft Nokia, die ihre Aktivitäten ab 1877 nur noch auf das neue Werk konzentrierte. Die Hauptabsatzmärkte von Nokia waren damals vor allem Russland, China, Großbritannien und Frankreich.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Nokia von der Gummifabrik Suomen Gummitehdas (Finnische Gummiwerke) übernommen, die hauptsächlich Gummischuhe herstellte. Das 1898 von Carl Henrik Lampen in Helsinki gegründete Unternehmen hatte sich 1904 in der Nähe der Nokia-Papierfabriken angesiedelt, um die Energie aus einem Nokia-Wasserkraftwerk günstig mitnutzen zu können.
1922 erwarb Suomen Gummitehdas die 1912 von Arvid Konstantin Wikström in Helsinki gegründete Firma Suomen Kaapelitehdas (Finnische Kabelwerke). Alle drei Unternehmen verwendeten für ihre Produkte (Papier, Schuhe, Transportbänder, Kabel) nun die Markennamen Nokia und Nokian. 1925 nahm Suomen Gummitehdas die Produktion von Fahrradreifen auf, 1932 folgten Autoreifen. 1938 wurde der Ort Pohjois-Pirkkala, der sich in der Nähe der Fabrikanlagen befand, in Nokia umbenannt.
1967 schlossen sich die drei Unternehmen unter dem Namen Nokia Osakeyhtio (Nokia Aktiengesellschaft) vollständig zusammen. Seit dieser Zeit beschäftigte sich Nokia mit der Entwicklung von Mobilfunksystemen, vor allem, weil es sich in dem riesigen, aber teilweise menschenleeren Land kaum lohnte, Telefonleitungen zu verlegen. Den Ausschlag dazu hatte 1963 eine Ausschreibung der finnischen Armee gegeben, die kabellosen Gefechtsfunk beschaffen wollte. Nokia konnte dabei auf die Erfahrungen der ab 1960 aufgebauten Elektronik- und Computerabteilung der Finnischen Kabelwerke zurückgreifen, außerdem arbeitete man in diesem Bereich eng mit dem Radio- und Fernsehgeräte-Hersteller Salora aus Salo zusammen.
Gemeinsam entwickelten beide Unternehmen Anfang der 1970er Jahre das Autofunktelefon-Netzwerk ARP (Autoradiopuhelin), dem allerdings kein großer kommerzieller Erfolg beschieden war. Nokia beteiligte sich neben anderen Unternehmen wie Ericsson auch am Aufbau des analogen, handvermittelten Mobiltelefonsystems NMT (Nordisk MobilTelefoni), das in den 1980er Jahren in mehreren nordeuropäischen Ländern in Betrieb genommen wurde (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden).
Für die Entwicklung und Herstellung der Mobiltelefone gründeten Nokia und Salora 1979 das Jointventure Mobira, das durch den Zusammenschluss von Nokia und Salora 1984 ganz in den Besitz von Nokia überging. Bis 1989 wurden die Geräte unter dem Namen Mobira verkauft. Ein prominenter Nutzer der Mobira-Telefone war Michail Gorbatschow. Von 1981 bis 1987 vermarktete Nokia unter dem Namen MikroMikko auch Personal-Computer.
Außerhalb Finnlands und einiger nordeuropäischer Länder wurde Nokia erst 1987 bekannt, als das Unternehmen die deutschen Unterhaltungselektronik-Hersteller ITT-Schaub-Lorenz und Graetz von CGE/Alcatel-SEL (Standard Elektrik Lorenz) übernahm und seine Produkte eine Zeit lang unter dem Markennamen ITT-Nokia verkaufte.
In den 1990er Jahren konzentrierte sich Nokia nur noch auf den Bereich Telekommunikation. Alle anderen Aktivitäten wurden verkauft oder verselbstständigt (Computer, Papier, Reifen, Schuhe, Unterhaltungselektronik). Ab 1992 gehörte das Unternehmen zu den Mitentwicklern des digitalen Mobilfunk-Standards GSM (Global System for Mobile Communication). Von 1998 bis 2012 war Nokia der weltgrößte Hersteller von Mobiltelefonen. Besonders erfolgreich wurden die Modelle 3210 (1999; 160 Millionen verkauften Exemplare) und 3310 (2000; 126 Millionen verkauften Exemplare).
2006/2007 erwarb Nokia die Firma Gate5 aus Berlin (Navigations-Software) und die US-Firma Navteq aus Chicago (Geodaten für Navigationsgeräte). Das Telekom-Ausrüstungsgeschäft (Infrastruktur-Dienstleistungen für Fest- und Mobilnetzbetreiber) betrieb Nokia von 2007 bis 2013 gemeinsam mit Siemens. Nokia Siemens Networks war der drittgrößte Telekomausrüster der Welt nach Alcatel-Lucent und Ericsson/Marconi. 2009 stieg Nokia mit einem Netbook (Nokia Booklet 3G) erneut in das Computer-Geschäft ein.
2010 wurde der frühere Microsoft-Manager Stephen Elop Vorstandschef von Nokia, woraufhin Nokia und Microsoft eng kooperierten (Abkehr vom eigenen Betriebssystem Symbian zugunsten von Windows Phone, Microsoft verwendete Nokias Kartendienste). Zu dieser Zeit hatte Nokia allerdings schon lange unter der immer stärker werdenden Konkurrenz von Apples iPhone und den Google-Android-Smartphones zu leiden. Die Marktanteile gingen stetig zurück und 2012 wurden die Finnen als weltgrößter Mobiltelefon-Hersteller von Samsung abgelöst. Ende 2012 schloss Nokia seine letzte Fabrik in Finnland (Salo). In der Stadt Nokia ist das Unternehmen ebenfalls nicht mehr vertreten; der Hauptsitz wurde inzwischen nach Espoo, der zweitgrößten finnischen Stadt direkt vor den Toren Helsinkis, verlegt.
2013/2014 übernahm Microsoft schließlich die gesamte Mobiltelefonsparte von Nokia mit mehreren Produktionsstandorten und über dreißigtausend Mitarbeitern. Nokia konzentrierte sich anschließend auf das Netzwerkgeschäft, den Kartendienst HERE, der u. a. von Amazon, BMW, Mercedes-Benz, Microsoft und Volkswagen genutzt wurde, sowie die Lizenzierung des umfangreichen Nokia-Patentportfolios.
Der Versuch des US-Softwarekonzerns in den hart umkämpften Mobiltelefon-Markt einzusteigen schlug jedoch fehl. Die Microsoft-/Nokia-Geräte mit Windows Phone als Betriebssystem verkauften sich nicht besonders gut. Die Produktpalette wurde immer weiter ausgedünnt und fast zwanzigtausend Mitarbeiter der ehemaligen Nokia-Standorte verloren ihre Jobs. 2016 stellte Microsoft die Produktion der Smartphones schließlich ein.
Das Geschäft mit den Feature-Phones (einfache Mobiltelefone und Smartphones) sowie eine Fabrik in Hanoi/Vietnam verkaufte Microsoft anschließend an die von ehemaligen Nokia-Managern gegründete Firma HMD Global, die von Nokia das exklusive Recht erhielt, den Namen Nokia in den nächsten zehn Jahren für die Vermarktung von Handys, Smartphones und Tablets zu nutzen. 2017 brachte HDM die ersten neuen Nokia-Smartphones auf den Markt. Vertrieb und Verkauf übernahm die Foxconn-Tochter FIH Mobile. Im gleichen Jahr löste Microsoft die Tochtergesellschaft Microsoft Mobile in Espoo auf.
2015 erwarb Nokia den französischen Telekomausrüster Alcatel-Lucent inkl. der berühmten Bell Laboratories aus Murray Hill/New Jersey, die einst zum US-Telefonkonzern AT&T (vorm. Bell Telephone Company) gehört hatten. Kurz darauf verkaufte Nokia den Kartendienst HERE an die drei Automobilkonzerne BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain