Markenlexikon
Der Hamburger Apotheker Paul Carl Beiersdorf (1836 – 1896) entwickelte 1882 auf Anregung des Dermatologen Paul Gerson Unna (1850 – 1929) eine neuartige, besonders hautverträgliche Pflastermasse auf Basis von Guttapercha, dem Milchsaft einer malaysischen Baumart – damals wurden Wunden noch mit flüssiger Pflastermasse eingestrichen und dann verbunden. Daraufhin gründeten Beiersdorf und Unna in Hamburg eine gemeinsame Firma. Doch bereits 1890 verkaufte Beiersdorf seine Anteile an den schlesischen Apotheker Dr. Oscar Troplowitz (1863 – 1918). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte die Firma Beiersdorf mehrere heute weltbekannte Produkte auf den Markt: 1896 das Klebeband Citoplast (zum Flicken von Fahrradreifen), 1901 Leucoplast (das erste selbstklebende Heftpflaster der Welt), 1906 die Zahncreme Pebeco, 1909 den Lippenpflegestift Labello, 1911 Nivea-Creme, 1922 den Pflaster-Schnellverband Hansaplast, 1936 Tesa (ein transparentes Klebeband) und 1951 8x4, die erste desodorierende Toiletten- und Badeseife Europas. Am erfolgreichsten wurde jedoch die Nivea-Creme.
Bis zu Markteinführung dieser Creme hatten Salben und Cremes nur eine sehr geringe Haltbarkeit, was eine industrielle Massenproduktion unmöglich machte. Sie wurden schnell von Mikroorganismen zersetzt, die bei jeder Benutzung in die Creme gelangten. Erst 1898, als es dem weißrussischen Chemiker Dr. Isaac Lifschütz (1852 – 1938) gelang, aus dem Wollwachs von Schafen (Lanolin) den Emulgator Eucerit zu extrahieren, wurde es möglich Wasser und Öl stabil zu einer Emulsion zu verbinden. Eucerit war die erste Wasser-in-Öl-Emulsion, die die Mikroben daran hindert, an die von Öl umhüllten Wassertropfen zu gelangen, sodass sie absterben.
Beiersdorf erwarb 1911 die ebenfalls in Hamburg ansässige Fett- und Seifenfabrik Hegeler & Brüning, wo Lifschütz arbeitete und im Vorstand saß, und damit auch das im Jahr 1900 angemeldete Eucerit-Patent. Anschließend entwickelten die Beiersdorf-Chemiker unter Leitung von Lifschütz und Paul Unna eine reinweiße Creme aus Glyzerin, Salz, Eucerit, ätherischen Ölen und Wasser, die in Anlehnung an das lateinische Wort »niveus« (schneeweiß) den Namen Nivea erhielt. Ende 1911 kam sie auf den Markt. Nivea war die erste haltbare Fett- und Feuchtigkeitscreme der Welt, außerdem konnte auf die Zugabe von Konservierungsstoffen verzichtet werden.
Die Kombination aus neuartiger Qualität, gut klingendem Markennamen und auffallendem Verpackungsdesign machte die »Mutter aller Cremes« innerhalb kurzer Zeit zum internationalen Verkaufsschlager. Bereits zwei Jahre nach Markteinführung war Nivea auf allen Kontinenten präsent und wurde teilweise auch dort von Beiersdorf-Tochtergesellschaften oder Lizenznehmern hergestellt.
Während des Zweiten Weltkriegs verlor Beiersdorf jedoch die Auslandsniederlassungen und Nivea-Markenrechte in vielen Ländern der Welt; sie wurden von den dortigen Regierungen als Feindvermögen beschlagnahmt und an einheimische Unternehmen verkauft. Ähnlich verfuhr Deutschland während der beiden Weltkriege mit ausländischen Unternehmen. Der weltweite Rückkauf der Nivea-Markenrechte dauerte bis in die 1990er Jahre.
Das Nivea-Sortiment wurde nach und nach um Sport-/Massage-/Sonnenöl (1930), Shampoo (1931), Body-Lotion (1963), Baby-Pflegeprodukte (1966), Creme-Bad (1976), After-Shave-Balsam (1980), Gesichtspflegeprodukte (1982), Nivea Men (1986), Deodorant (1991) und dekorative Kosmetik (1997) erweitert. Aus der dekorativen Kosmetik (Lippenstifte, Make-up, Nagellack) zog sich Beiersdorf jedoch 2010 wieder zurück.
Nivea ist heute die meistbenutzte Körperpflegemarke der Welt und die 1925 eingeführte königsblaue Blechdose ist genauso bekannt wie die Coca-Cola-Flasche. Der Name Eucerit lebte ebenfalls weiter, ab 1930 als Euzerin (später Eucerin) und seit 1950 als pH5 Eucerin (Medizinische Salbe). 2001/2002 erwarb Beiersdorf die sächsische Firma Florena aus Waldheim, die seit 1950 eine ähnliche Creme für die Ostblockstaaten herstellte. Da sich die blau-weiße Florena-Blechdose nicht sonderlich von der westdeutschen Nivea-Dose unterschied, wurde Florena-Creme gelegentlich als »Nivea des Ostens« bezeichnet.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain