Markenlexikon
Der Bankkaufmann Josef Carl Neckermann (1912 – 1992) übernahm 1935 im Zuge der sogenannten Arisierung das Würzburger Textilkaufhaus Ruschkewitz, das dazugehörige Kleinpreisgeschäft Merkur und 1937 die Wäschemanufaktur Carl Joel, zu der auch ein Versandhandel gehörte. Damit besaß Neckermann auf einen Schlag das drittgrößte deutsche Versandhaus. Der Jude Carl Amson Joel, der von dem vereinbarten Kaufpreis keinen Pfennig sah, emigrierte daraufhin in die USA und erhielt erst 1957 eine Wiedergutmachung von zwei Millionen Mark; der Rockmusiker Billy Joel ist sein Enkel.
Mit finanzieller Hilfe des Großindustriellen Friedrich Flick gründete Neckermann 1948 in Frankfurt/Main einen Textilgroßhandel, der 1950 in einen Versandhandel umgewandelt wurde. Neben Textilien verkaufte er über seinen Katalog bald auch Kleinmöbel, Lederwaren, Lampen und Radiogeräte (ab 1953), Kühlschränke, Fernsehgeräte, Schreibmaschinen und Genussmittel (ab 1954), Waschmaschinen (ab 1955), Mopeds (ab 1956) sowie Eigenheime, Versicherungen (Neckura) und Flugreisen (ab 1963). Damit machte Neckermann (Slogan: »Neckermann macht's möglich«) als einer der ersten deutschen Reiseveranstalter den Urlaub in südlichen Ländern auch für Durchschnittsbürger mit kleinem Geldbeutel möglich. 1965 gründete Neckermann für diesen Bereich eine eigene Firma: Neckermann und Reisen (NUR).
Josef Neckermann hatte auch zahlreiche sportliche Erfolge im Dressurreiten vorzuweisen; zwischen 1960 und 1974 gewann er mehrere Gold-, Silber- und Bronzemedaillen bei Olympischen Spielen und war mehrmals Welt- und Europameister.
Der Ausstieg Flicks aus dem Unternehmen (1963) und der damit verbundene Kapitalverlust, die starke Konkurrenz von Quelle und Otto und nicht zuletzt die niedrigen Preise, mit denen das »Warenhaus des kleinen Mannes« seine Kunden jahrelang anlockte, führten in den 1970er Jahren fast zum Konkurs. 1976 wandelte Neckermann sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, die 1977 mehrheitlich in den Besitz des Warenhauskonzerns Karstadt überging. Der Gründer verlor dabei fast sein gesamtes Vermögen. 1981 übernahm Karstadt auch NUR und benannte die Firma anschließend in NUR Touristic um. 1984 wurde der Neckermann Versand ganz in den Karstadt-Konzern eingegliedert; das Unternehmen schaffte erst 1987 wieder den Sprung in die Gewinnzone.
1997 bündelten die Deutsche Lufthansa (Condor Flugdienst) und Karstadt (NUR Touristic) ihre Touristikaktivitäten in dem Jointventure C&N Touristic, das 2001, nachdem C&N den britischen Reiseveranstalter Thomas Cook übernommen hatte, in Thomas Cook umbenannt wurde.
Der Neckermann Versand (ab 2005 Neckermann.de), der 1995 als eines der ersten Versandhäuser in Deutschland eine Online-Sparte ins Leben gerufen hatte, wurde 2007 von Arcandor (bis 2006 KarstadtQuelle) mehrheitlich an den US-Finanzinvestor Sun Capital verkauft. Infolge der Arcandor-Pleite (2010) erwarb Sun Capital auch die restlichen Anteile. 2012 musste Neckermann.de Insolvenz anmelden, da Sun Capital keine weiteren Mittel mehr für die Finanzierung zur Verfügung stellte. Da sich kein neuer Investor fand, wurde das Unternehmen geschlossen. Die Rechte an der Internetmarke Neckermann.de erwarb daraufhin der Otto-Konzern, der 2010 bereits die Marke Quelle und den Online-Shop quelle.de erworben hatte. Otto stellte den Neckermann-Online-Shop 2021 ein.
Das Versicherungsgeschäft von KarstadtQuelle (inkl. Neckermann Versicherungen) erwarb von 2002 bis 2008 die ERGO Versicherungsgruppe (vorm. Hamburg-Mannheimer und Victoria). Aus der Neckermann Versicherung entstand 2017 die Nexible Versicherung, ein rein digitaler Versicherungsanbieter.
Nach der Thomas-Cook-Insolvenz (2019) erwarb der türkischen Reiseveranstalter Anex Tour die Marken Bucher Reisen, Neckermann Reisen und Öger Tours.
Text: Toralf Czartowski