Markenlexikon
Amerikanische Soldaten brachten die Jeans nach dem Ende des 2. Weltkriegs nach Europa, wo die praktische Arbeits- und Freizeitbekleidung bald einen ähnlichen Boom erlebte, wie zuvor schon in den USA. Sie galten als Zeichen der neuen Freiheit, wie auch alle anderen amerikanischen Produkte, die es damals zu kaufen gab. Zunächst musste man sich die begehrten Stücke von Levi's, Wrangler oder Lee noch auf dem Schwarzmarkt besorgen. Bald regte sich jedoch auf dem alten Kontinent eine eigene Industrie. Der Erste war Harold Cooper aus Großbritannien (Lee Cooper).
In Deutschland hielten die Jeans 1949 Einzug. Hersteller war eine 1932 von Luise Hermann in Künzelsau bei Stuttgart gegründete Firma, die bis dahin Arbeitsbekleidung hergestellt hatte, u.a. für die deutsche Wehrmacht. Sie bestanden aus Köpergewebe, was daran lag, dass originaler Denim-Stoff in Europa noch nicht zu bekommen war. Auch das so charakteristische Indigo-Blau fehlte noch, wodurch die Jeans beim Waschen nicht ausblichen, sondern ewig dunkelblau blieben. Um an die Schnittmuster zu kommen, hatte sich Albert Sefranek (1920 – 2014), der Schwiegersohn der Gründerin, von einem US-Soldaten für einige Flaschen Schnaps mehrere originale Levi's-Jeans in verschiedenen Größen besorgen lassen. Die Chefin war anfangs gar nicht begeistert (»Eine schwäbische Kleiderfabrik macht keine Karussellfahrerhosen.«), doch gegen ein gutes Geschäft hatte sie in der schwierigen Nachkriegszeit letztendlich auch nichts einzuwenden, zumal der Schwiegersohn gleich einen Auftrag für dreihundert Jeans mitlieferte. Der Auftraggeber war ein Verwandter, der in Frankfurt am Main überschüssiges US-Armeematerial verkaufte. Sefranek hielt von den Ami- oder Cowboyhosen, wie sie damals noch genannt wurden, übrigens selbst auch nicht viel. Als einziger Verkäufer einer kleinen und weitgehend unbekannten Firma hatte er es jedoch schwer, Abnehmer für seine Schürzen, Kittel und Jacken zu finden. Deswegen brauchte er ein neues Produkt, das kein anderer hatte.
1953 präsentierte die Firma die erste europäische Damen-Jeans (Girl’s Campinghose), 1955 folgten Jeans aus Cordstoff und 1961 die weltweit ersten Stretch-Jeans. In Anlehnung an amerikanische Jeans-Marken ließ sich Albert Sefranek 1958 den Markennamen Mustang einfallen (nach dem gleichnamigen nordamerikanischen Wildpferd). Sie bestanden nun erstmals aus originalem Denim-Stoff, den Sefranek zuvor in den USA gekauft hatte. Kaufhof war Mitte der 1960er Jahre das erste große Warenhaus, das Mustang-Jeans verkaufte. Zur gleichen Zeit führte Rolf Hermann (1926 – 2008), der Sohn der Firmengründerin, Verhandlungen mit der US-Firma Levi Strauss & Co., die Mustang den gesamten Deutschland-Vertrieb ihrer Levi's-Jeans-Kollektionen übertragen wollten. Die Amerikaner entschieden sich dann in letzter Minute aber doch dafür, eine eigene Vertriebsgesellschaft zu gründen.
1968 übergab die Gründerin die Firma an Rolf Hermann und Albert Sefranek. Sie gaben die Produktion von Arbeitsbekleidung 1971 auf und benannten die Firma L. Hermann 1973 in Mustang Bekleidungswerke um. Für die Marke Mustang wurde nun verstärkt Werbung betrieben, vor allem in Fußballstadien und in mehreren populären Zeitschriften. Ende der 1970er brachte Mustang erstmals auch Jeans-Jacken und Oberteile auf den Markt. Kurz darauf expandierten die schwäbischen Jeans-Schneider mit Tochtergesellschaften ins europäische Ausland, zunächst nach Frankreich und Portugal, wo 1980 in Valadares eine neue Fabrik in Betrieb genommen wurde. Die Familie Hermann zog sich 1990 aus dem Unternehmen zurück, sodass sich die Firma nun in alleinigen Besitz der Sefranek-Familie befindet. Alfred Sefranek übergab die Geschäftsführung 1995 an seinen Sohn Heiner (* 1948).
Seit 1999 vergibt Mustang auch Lizenzen für die Herstellung von Accessoires, u.a. Gürtel, Taschen, Schuhe, Unterwäsche, Uhren, Schmuck, Strümpfe, Bettwäsche und Parfums. Daneben werden auch Jeans für andere Firmen produziert, u.a. für Joop, W</Wild And Lethal Trash, Bogner und Wunderkind. Von 1999 bis 2007 schloss Mustang sämtliche europäischen Werke (1999 Deutschland, 2002 Portugal, 2003 Polen, 2006 Russland, 2007 Ungarn); lediglich Abteilungen wie Verwaltung, Entwicklung, Design, Marketing und Vertrieb befinden sich weiterhin in Künzelsau. Die Mustang Jeans werden nun von Auftragsproduzenten in China, Pakistan, Indien und Bangladesh hergestellt. Verkauft werden sie inzwischen in über vierzig Ländern der Welt, nicht nur über den normalen Einzelhandel (Warenhäuser, Jeansgeschäfte), sondern auch über eigene Läden (Mustang Stores), die sich zum Teil im Besitz von Franchisenehmern befinden, und über den Mustang-Online-Shop (seit 2009).
Text: Toralf Czartowski