Markenlexikon
Das ganze Mittelalter hindurch wurde Japan von mächtigen Feudalfürsten, so genannten Shogunen, regiert. Zwar gab es in dieser Zeit auch einen Kaiser, den Tenno, der hatte aber eher zeremonielle Funktionen; im Prinzip war er ein Untergebener der Shogune. Erst mit dem allmählichen Niedergang der feudalistischen Strukturen Mitte des 19. Jahrhunderts – ausgelöst durch ausländische Händler und Seefahrer, die um diese Zeit nach Japan kamen – kehrte das Land wieder zum zentralistischen Kaisertum zurück. Mit dem Amtsantritt von Kaiser Meiji 1868 begann in Japan die moderne Zeit. Die Fürsten und ihre schwerttragenden Vasallen (Samurai) mussten sich nun nach anderen Beschäftigungen umsehen. Und die fanden sie schon bald im freien Handel, den ihre Vorfahren noch strikt abgelehnt hatten; von 1639 bis 1853 war Japan aus ökonomischen, politischen und religiösen Gründen von der Außenwelt praktisch abgeschnitten, ähnlich wie zeitweise auch China.
Einer dieser modernen Samurai war Yataro Iwasaki (1835 – 1885). In dem Dorf Aki auf der Insel Shikoku geboren, begriff er schon bald, dass die Zeit der Krieger vorüber war und konzentrierte sich ganz auf eine Tätigkeit als Kaufmann – zunächst noch in Diensten der Yamanouchi-Familie, der die Provinz Tosa auf Shikoku gehörte. Nachdem die neue Regierung den Adelscliquen das Betreiben kommerzieller Unternehmen verboten hatte, übernahm Iwasaki 1871 deren kleine Reederei und Handelsgesellschaft in Osaka. Das erst 1870 gegründete Unternehmen hieß zunächst Tosa Kaisei Shosha, dann Tsukumo Shokai, ab 1872 Mitsukawa Shokai und seit 1873 Mitsubishi Shokai. Der neue Name entstand aus den Wappen der Familien Iwasaki und Yamanouchi, drei übereinandergeschobenen Diamanten sowie drei Eichenblättern in Form eines dreizackigen Sterns. »Mitsu« bedeutet auf japanisch »drei« und »bishi« bezeichnet die geometrische Form des Diamanten. Im Übrigen ließen sich die drei Diamanten in der Werbung gut mit den drei edlen Ziele der Samurai in Verbindung bringen: Redlichkeit und Fairness, Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Völkerverständigung durch Handel.
Die Reederei besaß zunächst nur drei Frachtschiff. Dank staatlicher Aufträge liefen die Geschäfte so gut, dass die junge Firma schon fünf Jahre nach der Gründung dreißig Schiffe ihr Eigen nennen konnte. Die Nachkommen Iwasakis gaben sich jedoch mit der kleinen Reederei nicht zufrieden. Japan, arm an Bodenschätzen, benötigte dringend Erdöl, Eisen, Kupfer und andere Mineralien. In den Mitsubishi-Werken begann man damit, größere Frachtschiffe und vor allem Tanker zu bauen. Der Rohstofftransport aus Malaysia, Borneo und Burma wurde zum großen Geschäft für das Unternehmen. Und nicht nur der Transport, sondern auch die Verarbeitung. Mitsubishi betrieb bald eigene Bergwerke, Eisenhütten, Papier-, Glas- und Stahlwerke.
1917 begann Mitsubishi als zweite japanische Firma nach Datsun (heute Nissan) mit dem Bau von Automobilen. Das erste Fahrzeug (Modell A) hatte starke Ähnlichkeit mit den damaligen Fiat-Modellen. 1920 kamen Flugzeuge hinzu. Die ersten Modelle, meist einmotorige Doppeldecker, entwickelte der frühere Sopwith-Konstrukteur Herbert Smith. Hauptabnehmer waren die Kaiserlische Japanische Marine und das Heer. Während des 2. Weltkriegs avancierte Mitshubishi neben Nakajima (heute Subaru) und Kawasaki zum führenden japanischen Flugzeughersteller. Als besonders erfolgreich erwies sich der trägergestützte Abfangjäger/Jagdbomber Mitsubishi A6M Zero-sen/Reisen (Erstflug 1939), der auf allen Kriegsschauplätzen im Pazifik in großer Zahl zum Einsatz kam (u.a. Pearl Harbor, Midway), aber auch als Kamikaze-Flugzeug Verwendung fand. 1934 wurden die Schiffbau-, Fahrzeugbau- und Flugzeugbauaktivitäten zu einer Firma zusammengeschlossen (Mitsubishi Heavy Industries). Weitere Tochtergesellschaften der Mitsubishi Company (Mitsubishi Goshi Kaisha) waren u.a. Mitsubishi Marine Insurance (1919), die Mitsubishi Bank (1919), Mitsubishi Mining (1918), Mitsubishi Trading (1918), Mitsubishi Electric (1921), Mitsubishi Oil (1931), Mitsubishi Estate (1937), Mitsubishi Steel (1942) und Mitsubishi Chemical Industries (1944).
1945 teilten die US-Besatzer Mitsubishi in diverse Einzelgesellschaften auf. Richtig getrennt wurde der Konzern jedoch nie. Eine firmeneigene Mitsubishi-Geschichte beschrieb diesen Vorgang einmal treffend: »Auch als sich die Mitsubishi-Unternehmen auseinanderentwickelten, blieben sie Freunde. So wie alte Nachbarn, die weggezogen sind, den Kontakt aber halten. Es entstand eine lockere Gemeinschaft – im Geiste freundschaftlicher Rivalität.« Bereits in den 1950er Jahren konnten die drei Nachfolgeunternehmen von Mitsubishi Heavy Industries (Mitsubishi jukogyo kabushiki-gaisha), die sich 1964 wieder zusammenschlossen, mit dem Neuaufbau der japanischen Industrie beginnen. Mitsubishi Shipbuilding and Engineering baute ab 1953 amerikanische Jeeps in Lizenz und ab 1959 Pkws, Mitsubishi Fuso Motors Lastwagen und Mitsubishi Electric, 1921 als Tochtergesellschaft von Mitsubishi Shipbuilding gegründet, erweiterte die ursprüngliche Produktpalette (Elektromotoren für Schiffe, Ventilatoren, Generatoren, Aufzüge, Fahrtreppen) um Radiogeräte (1945), Elektrolokomotiven (1953), Fernsehgeräte (1953), Computer (1960), Radar-Equipment (1964), Satelliten (1977), Radioteleskope (1980) und Halbleiterbaulemente (1983). 1970 wurden die Fahrzeugaktivitäten von Mitsubishi Heavy Industries in der Mitsubishi Motors Corporation (Mitsubishi Jidosha Kogyo Kabushiki Kaisha) zusammengefasst. Den Versuch, gemeinsam mit Toyota ein Regionalverkehrsflugzeug auf den Markt zu bringen, gab Mitsubishi Heavy Industries 2023 nach zwanzig Jahren aus wirtschaftlichen Gründen wieder auf. Der Erstflug des SpaceJet (anfangs Mitsubishi Regional Jet genannt) fand im November 2015 statt.
Heute tragen rund zwanzig Unternehmen den Namen Mitsubishi, dazu noch eine ganze Reihe von Tochtergesellschaften. Zu den wichtigsten zählen die Mitsubishi Corporation (Handelshaus), die Mitsubishi-UFJ Financial Group, Mitsubishi Heavy Industries (Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber, Raketen, Kraftwerkskomponenten, Druckmaschinen, Stahlstrukturen), Mitsubishi Motors (gehört seit 2016 teilweise zu Nissan), Mitsubishi Electric, Mitsubishi Estate (Immobilien), Mitsubishi Chemical, Mitsubishi Steel und Mitsubishi Aluminum. Auch der Kamerahersteller Nikon, die führende japanische Brauerei Kirin, Nippon Oil (früher Mitsubishi Oil) und die Reederei NYK (Nippon Yusen Kabushiki Kaisha) – die Nachfolgegesellschaft der ersten Reederei von 1870 – gehören zum engeren Kreis des Mitsubishi-Konglomerats. Die 2003 von Mitsubishi Motors und DaimlerChrysler gegründete Mitsubishi Fuso Truck and Bus Corporation ist heute ein Teil von Daimler Trucks. Eine gemeinsame Holdinggesellschaft im europäischen oder amerikanischen Sinne gibt es jedoch nicht, wohl aber sind die einzelnen Unternehmen finanziell miteinander verflochten. Die Marketingstrategen des Konzerns haben für diese Vielfalt einen treffenden Slogan gefunden: Ein bisschen Mitsubishi ist überall…
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain