Markenlexikon
Nicolas-Edouard Daubrée (1797 – 1864) und sein Cousin Aristide Barbier (1800 – 1863) gründeten 1832 in Clermont-Ferrand eine kleine Firma, die zunächst landwirtschaftliche Geräte und Pumpen herstellte. Nachdem es dem Amerikaner Charles Goodyear 1839 erstmals gelungen war, Rohkautschuk in dauerelastisches Gummi zu verwandeln, stellten sie für ihre Maschinen auch Treibriemen, Dichtungen und Förderbänder aus vulkanisiertem Gummi her. 1886 ging das Unternehmen in den Besitz der Brüder André Michelin (1853 – 1931) und Édouard Michelin (1859 – 1940) über, die die Firma 1889 Michelin umbenannten. André war ausgebildeter Ingenieur, Architekt und Kartograf, Édouard Jurist und Kunstmaler.
Ab 1891 produzierte Michelin nach dem Vorbild der englischen Firma Dunlop luftgefüllte Fahrradreifen, ab 1894 Kutschenreifen und 1895 führte das Unternehmen die allerersten luftgefüllten Gummireifen für Automobile ein, die die bis dahin üblichen Radbereifungen aus Eisen oder hartem Kautschuk ablösten. Zu diesem Zweck bauten die Michelin-Brüder auf Basis eines Peugeot sogar ein eigenes Auto namens L´Eclair (Der Blitz). Beim Autorennen Paris – Bordeaux – Paris, wo die neuen Reifen der Öffentlichkeit vorgeführt wurden, waren sie dann auch die ersten Autofahrer der Geschichte, die einen Platten hatten. Der »Blitz« kam als letztes Fahrzeug ins Ziel und wurde anschließend wegen mehrerer Reifenwechsel disqualifiziert, doch den Siegeszug der Luftreifen konnte das letztlich nicht aufhalten.
1898 wurde das Michelin-Männchen (Bibendum) als Markenzeichen eingeführt. Die Idee dazu war Edouard Michelin 1894 auf der Weltausstellung in Lyon gekommen, nachdem er beim Anblick eines Stapels mit unterschiedlich großen Reifen spontan eine menschliche Figur erkannt hatte. Seinen Namen verdankt der Reifenmann einem Werbeplakat, auf dem er einen mit Nägeln und Glasscherben gefüllten Trinkpokal hochhielt. Als Slogan wählte man ein Zitat des römischen Dichters Horaz: »Nunc est bibendum« (Jetzt muss getrunken werden) – wobei damit gemeint war: Michelin-Reifen verschlucken alle Hindernisse.
1900 kam erstmals der Autoreiseführer Guide Michelin auf den Markt, 1910 die erste Michelin-Straßenkarte von Clermont-Ferrand und der näheren Umgebung und 1913 die erste vollständige Autofahrer-Karte von Frankreich. 1934 übernahm Michelin den in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Autohersteller Citroën, der jedoch 1975 wieder an Peugeot verkauft wurde, woraus der PSA-Konzern entstand. 1946 präsentierte Michelin den Stahlgürtelreifen Michelin X, der erstmals 1948 an einem Citroën 11CV zum Einsatz kam.
Im Laufe der Jahre erwarb Michelin noch weitere Reifenhersteller: 1985 den französischen Konkurrenten Kléber, 1990 Uniroyal-Goodrich aus den USA (BFGoodrich, Uniroyal), 1995 den polnischen Reifenhersteller Stomil-Olsztyn und 1996 den ungarischen Reifenhersteller Taurus. Die Marke Uniroyal gehört Michelin nur außerhalb Europas; die europäischen Uniroyal-Reifenaktivitäten waren bereits 1979 an Continental verkauft worden.
Michelin stellt heute Reifen für alle Arten von Fahrzeugen und Flugzeugen her (Fahrräder, Motorräder, Pkw, Lkw, Baumaschinen, Traktoren, Landmaschinen, Flugzeuge). Produktionsstandorte gibt es in zahlreichen Ländern (Algerien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Polen, Spanien, Rumänien, Ungarn, Thailand, USA). Der Konzern befindet sich noch immer im Besitz der Michelin-Familie.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain