Markenlexikon

Marshall

Ursprungsland: Großbritannien

James Charles (Jim) Marshall (1923 – 2012) arbeitete zunächst als Elektrotechniker bei einem britischen Rüstungsunternehmen, obwohl er keinerlei Ausbidung auf diesem Gebiet besaß. Aufgrund einer langwierigen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter musste er sich sein Wissen autodidaktisch aneignen. Nebenher betätigte er sich als Sänger, Tänzer und Schlagzeuger in verschiedene Orchestern und Bands. Da er keine besonders kräftige Stimme hatte, baute er sich ein Verstärkersystem, damit seine Stimme neben dem Schlagzeug besser zu hören war. In den 1950er Jahren gab er auch Schlagzeugunterricht, sodass er bald zum festen Bestandteil der Londoner Musikszene gehörte.

1960 eröffnete Jim Marshall zusammen mit seinem Sohn Terry ein Musikgeschäft in Hanwell im Westen Londons, in dem er anfangs Schlagzeuge verkaufte, später auch Gitarren und Bässe. Zu seinen Kunden gehörten u.a. der spätere Deep-Purple-Mitgründer Ritchie Blackmore, Big Jim Sullivan, ein vielbeschäftigter Sessionmusiker, Brian Poole von den Tremeloes und Pete Townshend von The Who. Eines Tages sprachen Marshall und Townsend über Gitarrenverstärker. Der The-Who-Frontmann wünschte sich einen Verstärker, der lauter und aggressiver klang, als die, die es bisher gab. Schließlich begann Marshall zusammen mit seinem Angestellten, dem früheren Pan-Am-Flugzeugtechniker und Funkamateur Ken Bran, dem Elektronikbastler und Funkamateur Dudley Craven, der gerade eine Ausbildung beim Elektronik- und Musikkonzern EMI absolvierte, sowie Ken Underwood, ebenfalls ein EMI-Lehrling und Funkamateur, einen solchen Verstärker zu entwickeln.

Obwohl Verzerrungen praktisch mit jedem Verstärker erreicht werden können, sofern die Ausgangsleistung der Gitarre höher ist als die Dimensionierung des Verstärkers, beschäftigte sich das Team von Jim Marshall intensiv mit der Erforschung von Verzerrungen an verschiedenen Punkten in der Signalkette. Nach diversen Versuchen mit einem modifizierten Röhren-Gitarrenverstärker des Typs Fender Bassman 5F6A gelang es ihnen schließlich 1962, die Vor- und Endstufe des Verstärkers so zu übersteuern, dass sie mit dem klanglichen Gesamteindruck zufrieden waren.

Das Ergebnis war der 45-Watt-Röhrenverstärker JTM 45 (wegen dem anfangs verwendeten Plexiglas-Panel auch als Marshall Plexi bekannt), der sich durch eine hohe Dynamik auszeichnete. Bei leichtem Anschlag einstanden keine Verzerrung, mit steigender Anschlagstärke wurden die Verzerrungen jedoch immer stärker. Der Plexi revolutionierte die Rockmusik und obwohl das Modell nur von 1963 bis 1966 gebaut wurde, ist er bei Gitarristen auf der ganzen Welt noch heute außerordentlich beliebt. Von 1965 bis 1967 gab es noch 50-Watt- (JTM 50) und 100-Watt-Versionen (JTM 100). 1989 brachte Marshall eine Neuauflage des JTM 45 heraus.

Auf Wunsch von Pete Townshend entwickelte Marshall 1965 einen 100-Watt-Röhrenverstärker mit 8×12-Zoll-Boxen (Modell JMP 1959 Super Lead), der sich jedoch von dessen Roadies nur schlecht transportieren ließ. Daraufhin schlug Townshend vor, die Lautsprecher in zwei 4×12-Zoll-Gehäuse unterzubringen, die man übereinander stapeln konnte. Obendrauf wurde der Verstärker-Kopf platziert. Neben The Who verwendeten u.a. auch Cream, Jimi Hendrix und Led Zeppelin diese gestapelten Marshall-Stacks. Bald darauf entwickelten sich die Lautsprechertürme zu einem ikonischen Bild der Rockmusik. Je größer die Wand aus Marshall-Stacks auf der Bühne war, desto höher schätzte man den Status der Band ein. Oftmals waren und sind die Gehäuse allerdings nur Attrappen.

Marshall
Marshall

Ein weiterer legendärer Marshall-Verstärker war der zwischen 1964 und 1972 gebaute Bluesbreaker, ein Combo-Verstärker mit Celestion-Lautsprechern, der auf der Schaltung des JTM45 basierte. Er erhielt seinen Namen von dem John-Mayall-Album »Bluesbreakers«, auf dem Eric Clapton einen solchen Verstärker im Studio verwendete. Der Bluesbreaker war zudem um einiges günstiger als vergleichbare andere Geräte.

Das erste Jahr wurden die Verstärker zunächst in den Gartenlauben von Ken Bran, Dudley Craven und Ken Underwood zusammengebaut, dann in einem größeren Nebenraum des Musikgeschäftes in Hanwell. 1963 zog die Produktion in den Londoner Stadtteil Southall um, 1964 nach Hayes/Middlesex und 1965 schließlich nach Bletchley/Buckinghamshire.

1965 schloss Marshall mit der Musikalienhandelsgesellschaft Rose-Morris einen exklusiven Vertriebsvertrag für fünfzehn Jahre ab, der ihm das nötige Kapital für die Ausweitung seiner Produktion verschaffte und die Marke Marshall weltweit bekannt machte. Auf Wunsch von Rose-Morris entstand auch das bis heute verwendete typische Design der Verstärker mit dem Logo in Schreibschrift. Die Firma Marshall durfte fortan die Marshall-Verstärker nicht mehr selbst vermarkten. Daher wurde in dieser Zeit ein Teil der Produktion unter anderen Markennamen verkauft (Big M, Cleartone, Kitchen, Park, Narb). Rose-Morris erhöhte die Preise für Marshall-Verstärker jedoch außerhalb Großbritanniens (vor allem in den USA) so drastisch, dass sie für viele Musiker unerschwinglich wurden. Das führte bald dazu, dass die Verkaufszahlen spürbar zurückgingen. Erst nach dem Ende der Vertriebsvereinbarung 1981 lief das Geschäft wieder besser.

Marshall musste in den 1960er Jahren keine große Konkurrenz fürchten, da die Gitarristen, die diese aggressiven Klänge bevorzugten, noch sehr überschaubar waren. Der überwiegende Teil der Musiker wollte nur den natürlichen Klang ihres Instruments verstärken (linear wirkende Verstärkung). Für große Hersteller wie Fender oder Vox lohnte es sich daher noch nicht, derartige Spezialverstärker herzustellen. Erst mit dem aufkommenden Hardrock ab Ende der 1960er Jahre änderte sich dies. Der Name Marshall hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch schon einen so guten Ruf bei Rockgitarristen, dass das Unternehmen nicht mehr vom Thron zu stoßen war.

Marshall verwendet bis heute in seinen Verstärkern, vor alle in den Premiummodellen, Elektronenröhren. Daneben gibt es einige preiswertere Modelle, in denen eine Mischung aus Röhren- und Halbleitertechnik zum Einsatz kommt. Die Lautsprecher stammen von dem britischen Hersteller Celestion.

Neben Gitarrenverstärkern entwickelt und produziert Marshall auch Lautsprecherboxen, Effektgeräte und Kopfhörer. Das Hauptwerk befindet sich in Bletchley (England). Außerdem gibt es noch Fertigungsstätten in China und Südkorea, wo preiswerte Einsteigermodelle hergestellt werden. Queen Elisabeth II. zeichnete die Firma Marshall zweimal mit dem Preis »The Queens Award For Export Achievement« aus (1984, 1992). 2004 wurde Jim Marshall von der Königin zum Officer (OBE) des Ritterordens »The Most Excellent Order of the British Empire« ernannt.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain