Markenlexikon

Lycoming (vorm. Avco-Lycoming)

Ursprungsland: USA

Über die frühe Geschichte des späteren Flugmotorenherstellers Lycoming ist wenig bekannt, vor allem was die genauen Zeitangaben betrifft. Das Unternehmen soll 1845 von Ellen Louise Curtis Demorest (1824 – 1898) in New York gegründet worden sein. Zuvor hatte sie im Alter von 18 Jahren mit der Hilfe ihres Vaters, eines Farmers und Besitzers einer Hutfabrik, einen Hutladen in Saratoga Springs/New York eröffnet. Zum Zeitpunkt der angeblichen Unternehmensgründung heiratete William Jennings Demorest (1822 – 1895) gerade eine Margaret Willamina Poole, die jedoch 1857 verstarb. Erst 1858 heirateten Ellen Curtis und William Demorest. Ab 1860 gaben sie das Modemagazin Mirror of Fashions in New York heraus. Dort tauchte zum ersten Mal der Markenname Madame Demorest auf, für Schnittmuster, die Ellen Curtis Demorest nach französischen Vorbildern anfertigte. Eine Nähmaschinenfirma hat es zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch gar nicht gegeben. Allerdings betrieben die Demorest ab 1860 auf dem Broadway in New York einen Modeladen. Erst ab Mitte der 1860er Jahre tauchten die ersten Demorest-Nähmaschinen (Madame Demorest, Bartlett & Demorest) in Nähereien auf.

William Jennings Demorest war zudem ein damals bekannter Prohibitionsaktivist, der sich vergeblich um das Amt des Bürgermeisters von New York City bewarb. Die 1889 gegründete Stadt Demorest in Georgia, die sich hohe moralische Standards gegeben hatte (kein Alkohol, kein Glücksspiel, keine Prostitution), wurde nach ihm benannt.

1883 verkauften die Demorests ihre Firma an die Werbefachleute Gerrit und Frank Scofield, die 1889 ein neues Werk in Williamsport/Pennsylvania (im Lycoming County) errichteten. Zu dieser Zeit firmierte das Unternehmen als Demorest Fashion and Sewing Machine Company, ab 1892 dann als Demorest Manufacturing Company. In den 1890er Jahren kamen neben den Nähmaschinen weitere Produkte wie Fahrräder, Schreibmaschinen, Druckerpressen und Stühle hinzu.

Als die Nähmaschinenproduktion nicht mehr profitabel genug war, begann die Firma, die sich nun Lycoming Foundry and Machine Company (ab 1920 Lycoming Manufacturing Company) nannte, ab 1907 mit der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugmotoren. Die ersten Motoren wurden 1910 ausgeliefert. Einer der größten Abnehmer der Lycoming-Motoren war der ehemalige Autohändler Errett Lobban Cord, der Eigentümer der Autohersteller Auburn und Duesenberg. Cord kaufte die Lycoming Manufacturing Company 1927 und integrierte die Firma 1929 in seine Holdinggesellschaft Cord Corporation, zu der auch die Flugzeughersteller Airplane Development Corporation (Vultee) und Stinson Aircraft gehörten sowie die Fluggesellschaft Century Air Lines. 1929 begann Lycoming mit der Produktion von Flugmotoren, wofür ein neues Werk in Williamsport/Pennsylvania errichtet wurde.

Lycoming
Lycoming

1934 erwarb die Holdinggesellschaft Aviation Corporation (AVCO), der zahlreiche Frachtfluggesellschaften gehörten, die Flugzeugfirmen der Cord Corporation (Lycoming, Stinson, Vultee) und rief ein neues Unternehmen ins Leben: Aviation Manufacturing Corporation (AMC). Kurz darauf wurde AVCO in zwei unabhängige Bereiche getrennt (Flugzeugbau, Fluglinien) – aus den Fluggesellschaften ging American Airlines hervor.

1936 löste AVCO die Tochtergesellschaft AMC wieder auf, wodurch Stinson Aircraft und Vultee Aircraft eine gemeinsame AVCO-Tochtergesellschaft bildeten (Vultee Aircraft Division). Nachdem Reuben Hollis Fleet, der Gründer der Consolidated Aircraft Corporation, seine Anteile 1941 an AVCO/Vultee Aircraft verkaufte hatte, schloss AVCO Consolidated Aircraft und Vultee Aircraft 1943 zur Consolidated-Vultee Aircraft Corporation (Convair) zusammen. 1947 veräußerte AVCO Consolidated-Vultee Aircraft an die Atlas Corporation des Investors Floyd Odlum, behielt aber den Flugmotorenhersteller Lycoming (Avco-Lycoming). AVCO übernahm im Laufe der Jahre noch zahlreiche andere Unternehmen, die jedoch später mit Ausnahme von Lycoming wieder verkauft wurden.

Ab dem Zweiten Weltkrieg produzierte Lycoming neben Flugmotoren auch Motoren für Panzer. Die Herstellung von Pkw- und Lkw-Motoren gab man nach dem Ende des Kriegs auf. 1951 wurde der frühere Junkers-Mitarbeiter Anselm Franz Chefkonstrukteur bei Avco-Lycoming. Franz war bei Junkers an der Entwicklung des ersten serienreifen Strahltriebwerks der Welt beteiligt gewesen (Jumo 004). In den 1950er Jahren entwickelte Lycoming neben Kolbenmotoren auch Turbinenantriebe für Flugzeuge und Hubschrauber, die von vielen namhaften Flugzeugherstellern verwendet wurden (u.a. Aérospatiale, Avro, Beechcraft, Bell, Boeing/Vertol, Bombardier, British Aerospace, Cessna, Convair, Curtiss-Wright, Dornier, Embraer, Fairchild, Grumman, Hiller, Kaman, MBB, Northrop, Piper, Stinson, Vultee).

Die Turbinen fertigte Avco-Lycoming ab 1951 in einem Werk der U.S. Air Force in Stratford/Connecticut (Air Force Plant No. 43; ab 1976 Stratford Army Engine Plant), während die Kolbenmotoren weiterhin aus dem Werk in Williamsport kamen. In den 1960er Jahren entwickelte Avco-Lycoming auch das Hitzeschild für die Apollo-Raumschiffe.

1985 wurde Avco-Lycoming von dem US-Mischkonzern Textron übernommen, dem auch der Hubschrauberhersteller Bell Helicopter gehört. 1994 verkaufte Textron den Bereich Lycoming Turbine Engine Division an AlliedSignal (heute Honeywell). Die Produktion der Kolbenmotoren für kleine Sport- und Geschäftsreiseflugzeuge wie Beechcraft, Cessna oder Piper blieb bei Textron. Beechcraft und Cessna gehören inzwischen ebenfalls zu Textron.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain