Markenlexikon
Die Brüder Victor (1877 – 1943), Malcolm (1887 – 1958) und Allan Haines Loughead (1889 – 1969) gehörten zur jener ersten Generation von Piloten, die mit teilweise noch recht merkwürdem Fluggerät versuchten, die Schwerkraft auszutricksen. Besonders Allan entwickelte sich bald zum Fliegergenie, das fast alles in die Luft bekam, was Flügel hatte, und Victor, der seinen Nachnamen schon früh in Lougheed änderte, schrieb sogar zwei Bücher über Flugzeuge (1909 »Vehicles of the Air«, 1912 »Aeroplane Designing for Amateurs«). Allan und Malcolm – im Gegensatz zu ihrem älteren Halbbruder Victor beide keine Ingenieure – konstruierten 1913 ein eigenes Flugzeug, mit dem sie vor begeistertem Publikum fliegerische Kunststückchen vorführten und Rundflüge veranstalteten.
Nachdem sie etwas Geld verdient hatten, gründeten sie 1916 im kalifornischen Santa Barbara die Loughead Aircraft Manufacturing Company. Zusammen mit dem Flugzeugkonstrukteur John (Jack) Knudsen Northrop (1895 – 1981) entwickelten sie ein Flugboot, das zwar von der amerikanischen Marine getestet, dann aber doch abgelehnt wurde. Als nächstes konstruierte Northrop ein einsitziges Sportflugzeug, das mit seinem relativ geringen Preis vor allem für weniger betuchte Leute gedacht war. Da es jedoch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs genug ausgemusterte Armeeflugzeuge zu Schleuderpreisen gab, schlug auch dieses Projekt fehl. 1920 musste die Firma schließlich aufgelöst werden.
Ein Jahr zuvor hatte Malcolm in Detroit die Lockheed Hydraulic Brake Company gegründet, um den von ihm entwickelten hydraulischen Radbremszylinder zu produzieren. 1924 kam das Lockheed-Vierradbremssystem erstmals am Chrysler 70 zum Einsatz. Malcolm war es auch, der sich die neue Schreibweise Lockheed einfallen ließ – weil Loughead wie Log-Head (engl. Klotzkopf) klang. 1932 verkaufte er sein Unternehmen für eine Million Dollar an den Bremsenhersteller Bendix.
1926 unternahm Allan Lockheed zusammen mit dem Finanzier Fred Keeler und John Northrop einen zweiten Versuch (Lockheed Aircraft Corporation). Northrop und Gerard Freebairn Vultee (1900 – 1938) entwickelten für die neue Firma den siebensitzigen Eindecker Vega. Die erste Maschine dieses Typs stürzte zwar während eines Fluges nach Hawaii ab, die anderen stellten jedoch einige bemerkenswerte Rekorde auf, so u.a. die erste Arktis-Überquerung, der erste Flug in die Antarktis und der erste Flug um die Welt mit nur einem Piloten. Ansonsten wurden die 128 gebauten Vega vor allem für Passagierflüge und den Transport von Luftpost eingesetzt. 1928 zog Lockheed nach Burbank/California in eine größere Fabrik direkt am Flughafen der Stadt um. Zur gleichen Zeit verließ Northrop Lockheed und gründete eine eigene Firma. Auch Gerard Vultee rief bald darauf eine eigene Firma ins Leben.
1929 baute Lockheed nach Vorgaben des Flugpioniers Charles Lindbergh das Hochleistungsflugzeug Lockheed 8 Sirius. Im gleichen Jahr verkaufte Fred Keeler seine Lockheed-Anteile an die Holdinggesellschaft Detroit Aircraft Company. Allan Lockheed verließ die Firma daraufhin, verkaufte seine Aktienanteile ebenfalls und gründete kurzzeitig zwei neue Flugzeugfirmen (1930 – 1934 Lockheed Brothers Aircraft, 1937 – 1939 Alcor Aircraft). Später arbeitete er als Manager für andere Flugzeugfirmen. Erst in den 1950er Jahren kehrte er für einige Jahre als Berater zum Lockheed-Konzern zurück. Detroit Aircraft ging 1931 in Konkurs. 1932 wurde Lockheed von einer Investorengruppe (Robert Gross, Courtlandt Sherrington Gross, Walter Varney) übernommen.
Ende der 1930er Jahre benötigten die beiden Fluggesellschaften TWA und Pan Am ein neues Langstrecken-Verkehrsflugzeug für den Inlandsverkehr. Im Sommer 1939 begann Lockheed mit der Entwicklung. Doch nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden alle Maschinen, die sich in Produktion befanden, zu Militärtransportern umgebaut. Erst nach dem Ende des Krieges kam die Constellation (von den Piloten auch Connie genannt) im zivilen Flugverkehr zum Einsatz. Die Constellation war neben den DC-Modellen von Douglas Aircraft eines der weltweit am meisten eingesetzten Passagierflugzeuge der 1950er Jahre, daneben diente sie auch als Reiseflugzeug für die US-Präsidenten. Bis zum Produktionsende 1958 baute Lockheed im Werk Burbank 856 Exemplare aller Constellation-Varianten, einschließlich ziviler und militärischer Fracht- und Transportmaschinen. Angetrieben wurde die Constellation von vier Wright-Sternmotoren, die sich allerdings als nicht sonderlich zuverlässig erwiesen (Triebwerksbrände), was zu dem Witz führte, die Constellation sei das beste dreimotorige Flugzeug der Welt.
Bereits seit dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Lockheed verstärkt auf Militärflugzeuge spezialisiert. In dieser Zeit entstanden die im Luftkampf außerordentlich erfolgreiche Lockheed P-38 Lightning (1939 – 1945) oder der Bomber Lockheed Hudson (1938 – 1942). Seit 1954 fertigte Lockheed die C-130 Hercules, eines der bis heute weit verbreitesten Transportflugzeuge der Welt. Auch die strahlgetriebenen Transportmaschinen C-141 StarLifter (1963 – 1968) und C-5 Galaxy (1968 – 1973, 1986 – 1989) stammen von Lockheed.
Der extrem hochfliegende Aufklärer U-2 (1955 – 1989) und das erste Mach-2-Jagdflugzeug Lockheed F-104 Starfighter (1954 – 1975) erlangten jedoch zum Teil traurige Berühmtheit. Eine U-2 schossen die Sowjets am 1. Mai 1960 über Swerdlowsk mit einer Boden-Luft-Rakete ab, was zu heftigen diplomatischen Verstimmungen zwischen den Supermächten führte, und die von mehreren NATO-Staaten in Lizenz produzierte F-104 stürzte zu Hunderten ab, was verschiedene Gründe hatte (außergewöhnliche und komplexe Aerodynamik, fehleranfällige Technik, fehlende Erfahrung der Piloten, die NATO setzte die F-104 als allwettertaugliches Mehrzweckkampfflugzeug ein, obwohl als es Abfangjäger für große Höhen entwickelt worden war). Aufgrund der hohen Absturzrate bei der deutschen Luftwaffe kam es 1966 zu einer ernsten Krise im Bundesverteidigungsministerium, in deren Folge mehrere hohe Offiziere zurücktraten. Mitte der 1970er Jahre geriet auch Lockheed selbst in die Schlagzeilen, nachdem der Konzern Bestechungsgelder an mehrere europäische Luftwaffenverantwortliche gezahlt hatte, um den Verkauf des in Verruf geratenen Starfighter zu fördern.
Als Nachfolger der U-2 stellte Lockheed 1964 den futuristisch anmutenden Mach-3-Aufklärer SR-71 Blackbird vor, dessen geheimen Testflüge nicht unwesentlich zur UFO-Manie in den USA beitrug. Kaum weniger futuristisch war der Tarnkappen-Jagdbomber F-117 Nighthawk (Erstflug 1977), der aus Geheimhaltungsgründen bis 1989 ausschließlich nachts flog.
Die Entwicklung des dreistrahligen Großraumjets Lockheed L-1011 TriStar trieb Lockheed und Rolls-Royce, den Hersteller des neuartigen Dreiwellentriebwerks, 1971 in den Konkurs. Beide Unternehmen mussten anschließend mit Staatsgeldern gerettet werden. Da der Absatz der TriStar nicht den Erwartungen entsprach, wurde die Produktion 1983 nach nur 250 Maschinen beendet. Gleichzeitig zog sich Lockheed endgültig aus dem Bereich der zivilen Verkehrsflugzeuge zurück (bereits von 1961 bis 1968 hatte Lockheed nach dem Misserfolg des Constellation-Nachfolgers Electra eine Zeitlang keine zivilen Flugzeuge mehr gebaut). 1984 wurde die Lockheed-Konzernzentrale von Burbank nach Calabasas, rund 35 Kilometer westlich von Burbank, verlegt.
1986 beteilgte sich Lockheed neben Boeing, General Dynamics, McDonnell-Douglas und Northrop am Advanced-Tacital-Fighter-Programm der U.S. Air Force und der U.S. Navy, das die McDonnell-Douglas F-15 Eagle und die Grumman F-14 Tomcat ersetzen sollte. 1991 ging schließlich Lockheed mit seinem Modell als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Ende 2004 wurden die ersten F-22 Raptor an die U.S. Air Force ausgeliefert.
1994 übernahm Lockheed die Flugzeugabteilung von General Dynamics (F-16 Fighting Falcon) und das Produktionswerk in Fort Worth/Texas (U.S. Air Force Plant 4). Kurz darauf kam es zum Zusammenschluss mit dem Luft- und Raumfahrtkonzern Martin-Marietta aus Bethesda/Maryland (Haupttank der Space-Shuttles, Hellfire-Panzerabwehrraketen, Magellan-Raumsonden, Pershing-Atomraketen, Radar- und Flugkontrollsysteme, Titan-Trägerraketen) zur Lockheed-Martin Corporation.
Ab 1993 entwickelte Lockheed-Martin im Rahmen des Joint-Strike-Fighter-Programms (JSF) das hochmoderne Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35 Lightning II (Erstflug 2000), das eine ganze Generation von amerikanischen und britischen Kampfflugzeugen ablösen soll (F-16 Fighting Falcon, F-18 Hornet, Harrier II, SEPECAT Jaguar, A-10 Thunderbolt II). Seit 2011 wird die F-35 in der Air Force Plant 4 in Fort Worth/Texas in Serie produziert.
Ab 2004 entwickelte Lockheed-Martin im Rahmen des Constellation-Programms ein Raumschiff, das erneut Astronauten zum Mond bringen soll (Orion MPCV). Das Constellation-Programm wurde 2010 von der Obama-Regierung aus finanziellen Gründen beendet, dann jedoch 2011 fortgeführt. Inzwischen trägt es den Namen Artemis. Der erste unbemannte Start des Orion-Raumschiffs fand im Dezember 2014 statt.
2015 erwarb Lockheed-Martin den Hubschrauber-Hersteller Sikorsky Aircraft, der zuvor jahrzehntelang zu United Technologies gehört hatte.
Lockheed-Martin (Hauptsitz: Bethesda/Maryland) betreibt Produktionsstätten u.a. in Fort Worth/Texas (U.S. Air Force Plant 4; F-35, F-16), Marietta/Georgia (U.S. Air Force Plant 6; C-130, F-22, F-35), Palmdale/California (U.S. Air Force Plant 42; U-2, C-130), San Antonio/Texas, Greenville/South Carolina, Pinellas Park/Florida, Meridian/Mississippi, Johnstown/Pennsylvania und Clarksburg/West Virginia (C-130). Die U.S.-Air-Force-Fabriken gehören dem Staat, werden aber von privaten Unternehmen wie Lockheed-Martin betrieben. Die Werke in Burbank wurden 1992 geschlossen.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain