Markenlexikon
Was wäre die Welt ohne Kaffee? Zumindest würde es heute weder Lloyd's of London, noch die Bank of England oder die Londoner Börse geben, denn alle drei waren ursprünglich Kaffeehäuser. Im 17. Jahrhundert verbreitete sich das arabisch-türkische Nationalgetränk unaufhaltsam in ganz Europa. Um 1680 gab es in London bereits dreitausend Kaffeehäuser. Und sie wurden zunehmend zum Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Geschäftsleute, Geldhändler, Kapitäne, Politiker, Künstler, Ärzte, kurz jeder, der damals wichtig war oder sich für wichtig hielt, musste regelmäßiger Stammgast in mindestens einem Kaffeehaus sein. Manche Geschäftsleute gaben gar den Standort ihres Kaffeehauses als Geschäftsadresse an.
1688 eröffnete auch der ehemalige Seefahrer Edward Lloyd in der Londoner Tower-Street ein Kaffeehaus. Von diesem Mann ist kaum mehr als seine bloße Existenz bekannt; es gibt keine genauen Lebensdaten, kein Bild und auch sonst wenig Hinweise auf seine vielfältigen Tätigkeiten. Edward Lloyd muss jedoch weitaus geschäftstüchtiger als seine Kollegen in den anderen Kaffeehäusern gewesen sein, denn er beschränkte sich nicht nur auf das Ausschenken von Kaffee, sondern er bot seinem Stammpublikum – hauptsächlich Reeder und Kapitäne – einen ganz besonderen Service an: Er versorgte sie mit zuverlässigen Schiffsnachrichten. Anfangs wurden diese Infos über weltweite Schiffspositionen, -routen und -ladungen nur an ein schwarzes Brett angeschlagen, später entstand daraus ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenblatt.
Lloyd baute mit Hilfe seiner weitreichenden Verbindungen in allen wichtigen Häfen Englands und Europas ein Netz von Korrespondenten auf, die ihn ständig mit aktuellen Nachrichten versorgten. Allmählich entwickelte sich aus dem Kaffeehaus eine gut funktionierende Informationsbörse für die ganze Schifffahrtsbranche. Auf den rustikalen Holzbänken von Lloyd's wechselten Schiffe ihre Besitzer, wurde um Ladungen gefeilscht oder Seetransport-Versicherungen abgeschlossen. Als Edward Lloyd 1713 starb, war sein Kaffeehaus bereits Londons führendes Handels- und Auktionshaus.
1771 gründeten mehrere private Versicherer (Underwriter), Versicherungsmakler (Broker), Schiffseigner, Bankiers und Kaufleute, die alle in irgendeiner Art und Weise mit Schiffsversicherungen zu tun hatten, die Society of Lloyd's. Eine juristische Gesellschaft mit regulärer Satzung und Geschäftsordnung entstand erst 1871 unter dem Namen Corporation of Lloyd's. Seit dieser Zeit durften nur noch vollwertige Mitglieder der Vereinigung Geschäfte im Namen der Gesellschaft tätigen. Das machte die Policen mit dem Anker, dem Erkennungszeichen von Lloyd's, beträchtlich sicherer vor dubiosen Underwritern, die manchmal nicht einen Penny Kapital besaßen.
Lloyd's erwarb sich bald den Ruf, im Schadensfall die Versicherungssummen schnell und ohne Einwände zu zahlen. Die Schadensansprüche nach dem Untergang der Titanic in Höhe von 1,4 Millionen Pfund wurden beispielweise innerhalb von 24 Stunden beglichen. Nach dem großen Erdbeben, das San Francisco 1906 zerstörte, erfolgte die Zahlung der Versicherungssumme von 350 Millionen Dollar in sieben Tagen. Durch diese unproblematische Verfahrensweise stieg das Prämienaufkommen bei Lloyd's sprunghaft an. Der Name Lloyd's genoss ein so hohes Ansehen, dass er fast zu einem Synonym für Versicherungen wurde. Überall auf der Welt gab es plötzlich Versicherungsgesellschaften, Reedereien, Werften und Schiffsklassifizierungs-Organisationen, die sich den Namen Lloyd's zulegten, ohne irgendetwas mit der Londoner Organisation zu tun zu haben (Germanischer Lloyd, Norddeutscher Lloyd, Lloyd Adriatico, Svenska Lloyd, Lloyd Triestino, Rotterdamsche Lloyd). Um Verwechslungen zu vermeiden, bürgerte sich im Fachjargon bald die Bezeichnung Lloyd's of London für das Original ein.
Lloyd's ist aber nicht nur für Schiffsversicherungen bekannt. Die Underwriter sichern fast jedes Risiko ab, das sich ein menschliches Gehirn ausdenken kann. Marlene Dietrich ließ bei Lloyd's ihre Beine versichern, Liz Taylor die Augen und Bette Davis ihre schlanke Taille. Das Leben der amerikanischen Mond-Astronauten wurde von Lloyd's ebenso versichert wie die Apollo-Raumschiffe, das Mondmobil und später die Space-Shuttle-Raumfähren. Selbst das legendäre schottische Ungeheuer von Loch Ness genießt bei Lloyd's Versicherungsschutz, falls es denn je auftauchen sollte. Andererseits kann man bei Lloyd's auch ganz gewöhnliche Lebens- oder Autoversicherungen abschließen.
Lloyd's of London ist allerdings keine herkömmliche private Versicherungsgesellschaft, sondern eine juristische Organisation, deren Mitglieder (Privatinvestoren, institutionelle Anleger), die in verschiedenen Syndikaten zusammengeschlossen sind, gegen die Zahlung von Prämien Risiken versichern. Lloyd's wird gelegentlich auch als Versicherungsbörse oder Versicherungsmarkt bezeichnet.
Daneben gibt es noch die seit 1973 bestehende Nachrichtenagentur Lloyd's of London Press, die über ein weltweites Korrespondentennetz zur Bestimmung von Schiffspositionen verfügt und die Zeitung Lloyd's List herausgibt, sowie das Lloyds's Register of Shipping, eine 1834 in London gegründete Schiffsklassifizierungsgesellschaft, die aus dem alten, noch von Edward Lloyd eingeführten Underwriters Register (Green Book) und einem 1799 von mehreren Reedern herausgegebenen Schiffsregister (Red Book) entstand. Die von Lloyd's of London unabhängige Organisation veröffentlicht jedes Jahr ein aktualisiertes dreibändiges Werk über alle weltweit existierenden Handelsschiffe mit mehr als 100 Bruttotonnen. Aufgeführt werden technische Daten, Werft, Reeder und eine Güteeinstufung, die als Basis für die Versicherung dient.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Public Domain