Markenlexikon
Conrad Dietrich Magirus (1824 – 1895) arbeitete über dreißig Jahre lang bei der Ulmer Feuerwehr, wo ihm immer wieder auffiel, wie mangelhaft die Ausrüstung teilweise war. Bereits in den 1850er Jahren konstruierte er daher spezielle Leitern, die er bei einer örtlichen Schmiede bauen ließ. 1864 wurde er dort Teilhaber und 1866 gründete er eine eigene Firma, die C. D. Magirus Feuerwehr-Requisiten-Fabrik. Weltweite Berühmtheit erlangte Magirus 1873 mit einer recht einfach zu bedienenden freistehenden Leiter (Ulmer Leiter). Magirus stellte bald alles her, was zum Löschen eines Feuers und zum Retten von Personen nötig war, u. a. Äxte, Feuerwehrhelme, Laternen, Leitern, Löschwagen, Motorspritzen, Pumpen, Rettungskörbe, Seile, Signalgeräte und Tragbahren. Ab der Jahrhundertwende entwickelte Magirus auch Gerätschaften für die Armee (Beleuchtungstürme, fahrbare Beobachtungstürme, Funkmasten) – die bekannteste Magirus-Erfindung dürfte jedoch die Gulaschkanone sein.
Um auch komplette motorisierte Löschzüge anbieten zu können, begann Magirus 1917 mit der Fertigung von Lastwagen. Während der Weltwirtschaftskrise kam das Unternehmen jedoch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, sodass sich die Gläubigerbanken gezwungen sahen, das Ruder selbst zu übernehmen. 1934 beriefen sie den Fabrikanten Fritz Kiehn zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Der übernahm nach und nach auch die Aktienmehrheit bei Magirus. 1936 verkaufte er seine Anteile an den Kölner Motoren-, Maschinen- und Traktorenhersteller Humboldt-Deutz, der mehrheitlich dem Industriellen Peter Klöckner (Klöckner Werke, Klöckner & Co.) gehörte. 1938 wurde Humboldt-Deutz in die Klöckner Werke eingegliedert und nannte sich nun Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD). Unter den Markennamen Deutz, Magirus und Magirus-Deutz fertigte das Unternehmen fortan Armeefahrzeuge, Baufahrzeuge, Feuerwehrtechnik, Lastwagen, Motoren, Omnibusse und Traktoren.
Magirus-Deutz wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Umsatzbringer des KHD-Konzerns, sodass Klöckner-Humboldt-Deutz 1964 – zum einhundertjährigen Jubiläum der Firma Deutz – das Magirus-M (in Form des Ulmer Münsters) zum alleinigen Logo für den Gesamtkonzern machte.
Anfang der 1970er Jahre kam es aufgrund der Ölkrise in der europäischen Nutzfahrzeugbranche zu einer ernsten Krise, in deren Folge viele Hersteller ihr Heil in Kooperationen oder Zusammenschlüssen suchten. Zunächst wollten DAF, Klöckner-Humboldt-Deutz, die Renault-Nutzfahrzeugtochter SAVIEM und Volvo ein gemeinsames Konstruktionsbüro ins Leben rufen, dann gab es Verhandlungen über einen Zusammenschluss von Daimler-Benz und Magirus-Deutz, die jedoch schon im Vorfeld an den Einwänden der Kartellbehörde scheiterten.
1975 gründeten schließlich der italienische Fiat-Konzern (Fiat, Lancia, O.M., Unic ), der bereits seit 1903 Nutzfahrzeuge produzierte, und KHD (Magirus-Deutz) die Industrial Vehicles Corporation (Iveco), in die beide Unternehmen ihre Nutzfahrzeugaktivitäten einbrachten. Der deutsche Ableger firmierte daraufhin als Magirus-Deutz. Fiat war an dem neuen Unternehmen mit achtzig Prozent beteiligt, KHD mit zwanzig Prozent. Die Marken Fiat, Lancia, Magirus-Deutz, O.M. und Unic blieben vorerst noch bestehen, wurden aber nach und nach durch den Namen Iveco ersetzt. Lediglich die Kleintransporter kamen weiterhin als Fiat in den Handel.
Nachdem die Anlaufverluste zu groß geworden waren, verkaufte KHD seinen Anteil 1980 an Fiat.1983 verschwand der Name Deutz aus dem Firmennamen von Magirus-Deutz; das deutsche Unternehmen hieß nun Iveco-Magirus. Der Name Magirus wurde nur noch als Firmenbezeichnung sowie als Zusatz bei Feuerwehrfahrzeugen und Brandschutztechnik verwendet.
Iveco erwarb in den nächsten Jahren noch weitere Nutzfahrzeughersteller (1987 Astra/Italien, 1990 Pegaso/Spanien, Seddon-Atkinson/Großbritannien), außerdem eine Beteiligung am größten indischen Nutzfahrzeughersteller Ashok-Leyland (eine frühere British-Leyland-Tochter). Das Jointventure Iveco-Ford Truck betrieb von 1986 bis 1997 ein Werk in Langley/Slough. Für die Produktion der Busse war von 1999 bis 2001 das Iveco-Renault Jointventure Irisbus zuständig. Der Name Magirus wurde nur noch als Firmenbezeichnung sowie als Zusatz bei Feuerwehrfahrzeugen und Brandschutztechnik verwendet.
2010 spaltete sich der Fiat-Konzern in die beiden Teile Fiat (Pkw) und Fiat Industrial (Baumaschinen, Landmaschinen, Nutzfahrzeuge) auf. 2013 benannte sich Fiat Industrial in CNH Industrial um (nach der Bau-/Landmaschinentochter CNH Global). 2022 brachte CNH Industrial die Lastwagen-Tochter Iveco als eigenständiges Unternehmen an die Mailänder Börse. CNH selbst konzentriert sich nur noch auf Bau- und Landmaschinen (Case, New Holland).
Die wichtigsten Iveco-Werke befinden sich in Argentinien (Córdoba), Australien (Dandenong), Brasilien (Sete Lagoas), China (Nanjing), Deutschland (Ulm, Weisweil/Breisgau), Frankreich (Annonay), Italien (Bolzano, Brescia, Piacenza, Suzzara, Turin), Spanien (Barcelona, Madrid, Valladolid), Ungarn (Budapest) und Tschechien (Vysoké Mýto).
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain