Markenlexikon

Hercules

Ursprungsland: Deutschland

Nachdem der Kaufmann Carl Marschütz (1863 – 1957) den Mechaniker Eduard Pirzer kennengelernt hatte, der Hochräder aus englischen Einzelteilen zusammenbaute, reifte in ihm der Wunsch eine eigene Fahrradproduktion aufzubauen. Dazu tat er sich mit Pirzer und Joseph Goldschmidt, dem Inhaber seines Lehrbetriebs, einer Eisenwarenhandlung und Kochherdfabrik, zusammen und gründete 1884 in Neumarkt in der Oberpfalz die Velozipedfabrik Goldschmidt & Pirzer, aus der später die Express-Werke AG hervorging. Nachdem Marschütz dieses Unternehmen verlassen hatte, gründete er 1886 zusammen mit seinen Brüdern Heinrich und Ernst in Nürnberg die Firma Carl Marschütz & Co. und errichtete 1888 ein Fabrikgebäude für die Fahrradproduktion.

Das neue Unternehmen fertigte Hoch- und Dreiräder, Tandems und bald auch Niederräder. 1896 wurde die Firma in eine AKtiengesellschaft umgewandelt (AG Nürnberger Velocipedfabrik Hercules vormals Carl Marschütz & Co.). Infolge einer Absatzkrise in den späten 1890er Jahren, begann Hercules 1897 mit der Produktion von Isolierrohren und Verteilerdosen. 1898 folgten elektrisch angetriebene Lastautomobile und ab 1906 gab es auch größere Lastwagen mit Benzinmotoren und 1,5 bis 4 Tonnen Nutzlast. Daneben fertigte die Fabrik Motorräder mit Fremdmotoren (1905 – 1907). Die Herstellung von Nutzfahrzeugen wurde im Jahr 1926 eingestellt. Dafür nahm man 1928 wieder den Bau von Motorfahrrädern und Leichtmotorrädern auf. Die Motoren und Getriebe wurden aus England, der Schweiz und Deutschland zugekauft, u.a. von den Motorenherstellern wie Bark, Horex, Hurth, Ilo und Sachs.

Aufgrund der Arisierung der deutschen Wirtschaft durch die Nazis musste die jüdische Familie Marschütz ihre Aktien an dem Unternehmen weit unter Wert verkaufen und Deutschland 1938 in Richtung USA verlassen. Die Hercules-Werke gingen 1941 in den Besitz der Firma Carl Soldan aus Fürth über, die das Unternehmen 1944 in eine GmbH umwandelte. Während der allierten Luftangriffe auf Nürnberg wurde das Hercules-Werk größtenteils zerstört. Die verbliebenen Maschinen und Werkzeuge verkauften die Amerikaner ins Ausland.

1946 konnte die Fahrrad-Produktion in kleinem Umfang wieder aufgenommen werden. 1949 folgten Motorräder. Das Unternehmen gehörte kurzzeitig zur Deutschen Bank und ab 1948 zur Triumph Werke AG (Nürnberg), die 1896 als deutsche Niederlassung der englischen Triumph Cycle Company aus Coventry gegründet worden war und Fahrräder, Motorräder sowie Schreibmaschinen herstellte. 1956 übernahm der deutsche Radio- und Fernsehgerätehersteller Grundig aus Fürth die Triumph-Werke und die Adler-Werke aus Frankfurt/Main, ebenfalls ein Hersteller von Autos, Motorrädern und Schreibmaschinen. Die Triumph-Adler AG konzentrierte sich daraufhin nur noch auf die Produktion von Schreib- und Büromaschinen (Buchungsautomaten, Fakturierautomaten, Streifenlocher, ab 1969 Computer). Die Motorradproduktion wurde 1957 eingestellt.

Hercules
Hercules

Die Nürnberger Hercules Werke GmbH ging 1958 in den Besitz der Fichtel & Sachs AG (Schweinfurth) über. Der Kauf erfolgte über Strohmänner und wurde erst 1963 bekannt. Hintergrund dieser Aktion war die Tatsache, dass Fichtel & Sachs seine Motoren auch an viele andere Motorradhersteller lieferte und eine Verunsicherung der Abnehmer bezüglich der weiteren Verfügbarkeit von Sachs-Motoren verhindert werden sollte.

1965 erwarb Fichtel & Sachs auch die Zweirad-Union GmbH aus Nürnberg, der die Marken DKW, Express und Victoria gehörten. Das führte dazu, dass Hercules-Motorräder und -Kleinkrafträder (Mofas, Mopeds, Mokicks) im Ausland teilweise als DKW und Sachs verkauft wurden, wenn die Marke Hercules dort schon anderweitig vergeben war. Daneben vertrieb Hercules auch Motoroller, die allerdings von KTM, Peugeot und Yamaha stammten. Als Antrieb aller Hercules-Modelle dienten fast ausschließlich Zweitaktmotoren von Sachs. Eine Ausnahme war die von 1974 bis 1979 in nur geringen Stückzahlen gebaute Hercules/DKW W 2000, die einen Wankelmotor besaß. Das Hercules-Modellprogramm reichte von der Hubraumklasse 50 cm3 bis zur Hubraumklasse 250 3. Die reguläre Produktion der Motorräder wurde 1979 beendet, allerdings lieferte Hercules noch bis 1996 Motorräder an die Bundeswehr, die dort als Kradmelder zum Einsatz kamen.

In den 1980er Jahren brach der deutsche Markt für Klein- und Leichtkrafträder aufgrund gesetzlicher Neuregelungen infolge gestiegener Unfallzahlen (neue Führerscheinklassen, vorgeschriebene Fahrprüfung, höhere Versicherungsprämien) stark ein. Zusätzlich kamen immer mehr preiswertere japanische Importe auf den Markt. In dieser Zeit gingen auch die Hercules-Konkurrenten Kreidler (1982) und Zündapp (1984) in Konkurs. Zwischen 1987 und 1991 verkauften die Sachs-Erben die Fichtel & Sachs AG an die Mannesmann AG, die das Unternehmen 1993 mit ihrer Tochtergesellschaft Boge, zusammenschlossen und 1997 in Mannesmann-Sachs AG umbenannten.

Bereits 1995 war die Hercules-Fahrradproduktion an die niederländische ATAG Holding (ab 1998 Accell Group) verkauft worden – gleichzeitig bekam die Nürnberger Hercules Werke GmbH den neuen Namen Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH. 1996 stellte Mannesmann/Fichtel & Sachs auch die Motorenproduktion ein und 1998 wurde die Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH an die niederländische Koch-Kleeberg-Gruppe (Winning Wheels) verkauft. Die SFM GmbH Nürnberg (vorm. Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH) produziert heute vor allem in China Mofas, Mopeds, Roller, Motorräder, Quads und Fahrräder, die unter der Marke Sachs Bikes in den Handel kommen.

2013/2014 verkaufte die Accell Group (Ghost, Haibike, Sinus, Winora) die Fahrradmarke Hercules an die Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft (ZEG) Köln, eine Einkaufsgemeinschaft von über 1000 Fahrradgeschäften in ganz Europa, die Fahrräder auch unter mehreren Eigenmarken verkauft (Bulls, Pegasus, Zemo, Wanderer). Die Hercules GmbH hat ihren Haupptsitz nun in Köln.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Public Domain