Markenlexikon

Hawker-Siddeley

Ursprungsland: Großbritannien

Der australische Testpilot Harry George Hawker (1889 – 1921) arbeitete zunächst bei der britischen Flugzeugfirma Sopwith Aviation in Kinston-upon-Thames. Nachdem Sopwith 1919 den Betrieb eingestellt hatte, erwarb Hawker alle Sopwith-Patente und eröffnete 1920 ebenfalls in Kingston sein eigenes Konstruktionsbüro. Ein Jahr später verunglückte er jedoch bei einem Testflug tödlich; seine Firma wurde daraufhin von Thomas Sopwith (1888 – 1989) weitergeführt.

1934 erwarb Hawker Aircraft die Gloster Aircraft Company, deren Werke in Hucclecote/Gloucestershire und Brockworth/Gloucestershire mehr Möglichkeiten für Erweiterungen boten, als das Hawker-Werk in Kingston. Gloster produzierte auch weiterhin Flugzeuge unter eigenem Namen, übernahm aber auch Produktionsaufträge der Muttergesellschaft.

Aus dem Zusammenschluss von Hawker Aircraft und dem Motorenhersteller Armstrong-Siddeley, zu dem seit 1928 auch der Flugzeughersteller Avro gehörte, entstand 1935 Hawker-Siddeley Aircraft.

Armstrong-Siddeley ging einerseits auf den 1847 von William George Armstrong (1810 – 1900) gegründeten Maschinenbaukonzern Armstrong-Whitworth (Automobile, Brücken, Flugzeuge, Geschütze, Krane, Lokomotiven, Schiffe) zurück, andererseits auf die 1906 von Henry Hugh Peter Deasy (1866 – 1947) in Coventry gegründete Deasy Motor Company, die ab 1909 John Davenport Siddeley (1866 – 1956) gehörte. Der frühere Radrennfahrer Siddeley hatte 1902 die Siddeley Autocar Company gegründet und französische Peugeot-Automobile nach England importiert. 1905 wurde Siddeley Autocar von Wolseley übernommen und in Wolseley-Siddeley umbenannt. Siddeley blieb bis 1909 als Manager bei Wolseley-Siddeley, dann kaufte er Deasy. Siddeley-Deasy produzierte während des Ersten Weltkriegs Ambulanzfahrzeuge, Flugmotoren und Flugzeuge. 1919 kam es zum Zusammenschluss von Siddeley-Deasy und Armstrong-Whitworth (Armstrong-Siddeley). Nachdem Armstrong-Whitworth und Vickers 1927 ihre Wehrtechnikabteilungen in dem neuen Unternehmen Vickers-Armstrongs zusammengeschlossen hatten, kaufte John Siddeley die Automobil- und Flugzeugabteilung von Armstrong-Siddeley wieder zurück. 1928 erwarb Armstrong-Siddeley die Flugzeugfirma A.V. Roe and Company (Avro), die 1909 von Edwin Alliott Verdon Roe (1877 – 1958) und seinem Bruder Humphrey Verdon Roe (1878 – 1949) in Manchester gegründet worden war.

Während der beiden Weltkriege gehörte Hawker-Siddeley neben Vickers-Armstrongs zu den Hauptausrüstern der britischen Streitkräfte. Hawker-Siddeley produzierte u.a. die Bomber Avro 679 Manchester (1939 – 1941) und Avro 683 Lancaster (1941 – 1946), außerdem das Jagdflugzeug Hawker Hurricane (1935 – 1944), das neben der Supermarine Spitfire von Vickers zu den stärksten Gegnern der deutschen Maschinen gehörte.

In der Nachkriegszeit entwickelte Hawker-Siddeley das einstrahlige Jagdflugzeug Hawker Hunter (1951 – 1956), das zum wichtigsten britischen Kampfflugzeug der 1950er und 1960er Jahre avancierte, und den vierstrahligen taktischen Bomber Avro 698 Vulcan (1952 – 1965), der als einer von drei britischen Bombern (Avro Vulcan, Handley Page Victor, Vickers Valiant) für den Abwurf von Atombomben vorgesehen war. Ab 1957 beschäftigte sich Hawker-Siddeley mit der Entwicklung eines senkrecht startenden Kampfflugzeugs, das 1969 unter dem Namen Harrier bei der Royal Air Force in Dienst gestellt wurde.

Hawker-Siddeley
Hawker-Siddeley

Neben den vielfältigen Aktivitäten im Luft- und Raumfahrtbereich gehörte Hawker-Siddeley ab 1957, als man den Elektrokonzern Brush übernahm, auch zu den führenden britischen Herstellern von Lokomotiven und elektrischen Ausrüstungen. In den späten 1950er Jahren übte die britische Regierung großen Druck auf die heimischen Flugzeughersteller aus, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen, wenn sie weiter staatliche Aufträge bekommen wollten, ähnlich wie es auch in Frankreich praktiziert wurde. So entstanden um 1959/1960 zwei Gruppen: Hawker-Siddeley (Avro, Blackburn, De Havilland, Folland, Hawker) und die British Aircraft Corporation (BAC; Bristol, English Electric, Vickers-Armstrongs).

Die Flugmotorenabteilungen von Hawker-Siddeley (Armstrong-Siddeley Motors), Bristol Aircraft (Bristol Aero-Engines), De Havilland Aircraft (De Havilland Engine) und Blackburn Aircraft (Blackburn Engines) wurden zwischen 1959 und 1961 ebenfalls zusammengeschlossen (Bristol-Siddeley Engines) und 1966 an Rolls-Royce verkauft.

Die früheren Herstellernamen wie Avro, Blackburn, De Havilland, Folland oder Hawker wurden 1963 durch das Kürzel HS ersetzt. Zu den Flugzeugen, die Hawker-Siddeley in den 1960er und 1970er Jahren baute, gehörten das dreistrahlige Kurz- und Mittelstrecken-Verkehrsflugzeug HS.121 Trident (1961 – 1978), die vierstrahlige Comet 4 (1958 – 1964), der Senkrechtstarter Harrier (1960 – 1988), der Bomber B-103 Buccaneer (1958 – 1977), das zweistrahlige Geschäftreiseflugzeug HS.125 (1962 – 2013), der auf der Comet basierenden Marineaufklärer Nimrod (1967 – 1974) und der leichte Strahltrainer H.S. 1182 Hawk (ab 1974).

1965 entwickelte die britisch-französische HBN Group (Hawker-Siddeley, Bréguet, Nord Aviation) in Hatfield mehrere Design-Studien, aus denen einige Jahre später das europäischen Verkehrsflugzeug Airbus A300 hervorging. Hawker-Siddeley fertigte in Broughton/Hawarden (Wales) und Hatfield (England) – beides ehemalige De-Havilland-Werke – auch die Airbus-Tragwerke.

Nachdem die weltweite Ölkrise in den frühen 1970er Jahren den großen Airlines bei der Flugzeugbeschaffung Zurückhaltung auferlegte und selbst die prestigeträchtige Concorde kaum Käufer anlockte, kamen die europäischen Hersteller zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. 1976 nahm sich die britische Regierung des Problems im eigenen Lande an und verstaatlichte Hawker-Siddeley und die British Aircraft Corporation. 1977 schlossen sich Hawker-Siddeley Aviation (Flugzeugbau), Hawker-Siddeley Dynamics (Lenkwaffen, Raumfahrtsparte), die British Aircraft Corporation und Scottish Aviation zum Luft- und Raumfahrtkonzern British Aerospace (BAe; seit 1999 BAE Systems) zusammen. Die restlichen Geschäftsfelder der Hawker-Siddeley Group wurden in den nächsten Jahren an andere Unternehmen veräußert.

1993 verkaufte British Aerospace den Bereich Geschäftsflugzeuge und den traditionsreichen Namen Hawker an den US-Rüstungskonzern Raytheon, dem damals auch die Beech Aircraft Corporation (Beechcraft) gehörte. Nachdem Raytheon 2007 aus dem zivilen Flugzeugbau ausgestiegen war, benannten die neuen Eigenümer Raytheon Aircraft in Hawker-Beechcraft um. 2013 wurde Hawker-Beechcraft vom Textron-Konzern (Bell Helicopter, Cessna, Lycoming) übernommen. Zur gleichen Zeit endete auch die Produktion der Modelle Hawker 400 und 800, die noch auf der seit 1962 produzierten De Havilland DH.125 Jet Dragon (HS.125, BAe 125) basierten. Textron Aviation verwendet für neue Flugzeugmodelle nur noch die Namen Beechcraft und Cessna.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain