Markenlexikon
Obwohl die USA nie ein klassisches Motorradland gewesen ist, wie etwa Deutschland, Italien oder Großbritannien, ist gerade diese US-Marke weltweit zu einem Synonym für das Motorrad geworden. In Amerika stand seit jeher das bequemere Automobil im Vordergrund, was vor allem an Henry Fords erschwinglichem Volksauto Tin Lizzy lag. In Europa war das Automobil viel länger ein Luxusspielzeug für reiche Leute, sodass Motorfahrräder, Mopeds, Motorroller und Motorräder die einzige Möglichkeit waren, einigermaßen billig zu einem eigenen motorbetriebenen Fahrzeug zu kommen.
Die Ursprünge von Harley-Davidson gehen auf den technischen Zeichner William Sylvester Harley (1880 – 1943) und den Werkzeugmacher Arthur Davidson (1881 – 1950) zurück, die 1903 in einem Schuppen in Milwaukee/Wisconsin ihr erstes Motorfahrrad zusammenbauten. Der 405-Kubikzentimeter-Einzylindermotor mit einer Leistung von drei PS ließ allerdings noch nichts von den späteren Schwergewichten erahnen. 1907, als die Harley-Davidson Motor Company offiziell gegründet wurde, trat auch Arthurs Bruder William Davidson (1870 – 1937) in die neue Firma ein.
Während der beiden Weltkriege lieferte das Unternehmen über hunderttausend Motorräder an das Militär und die Polizei, was sicher nicht unwesentlich zur späteren Bekanntheit der Marke beitrug. Während des Zweiten Weltkriegs produzierte Harley-Davidson eine Kopie der deutschen BMW R71 mit Kardanantrieb für die U.S. Army. Auch die Rote Armee der Sowjetunion belieferte Harley-Davidson mit dem Armee-Modell WLA.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs adaptierte Harley-Davidson die DKW RT 125, das meistgebaute deutsche Motorrad und das meistkopierte Motorrad der Welt. Von 1948 bis 1966 baute Harley das Modell 125 mit Einzylinder-Zweitaktmotor und weitere Varianten davon. Da eines der Modelle den Namen Hummer trug, werden heute alle Leichtmotorräder von Harley-Davidson aus dieser Zeit als Hummers bezeichnete.
In den 1950er Jahren entwickelten sich die Maschinen aus Milwaukee mit ihrem blubbernden Motorsound und dem klassischen Tropfentank zu einer amerikanischen Institution. Sie wurden zu Kultobjekten der jungen Generation und dank ihres aggressiven Erscheinungsbildes konnte man sie durchaus als Nachfahren wilder, ungezähmter Pferde ansehen. Berühmtheit erlangten vor allem die mächtigen Modelle Hydra Glide (1949 – 1957), Duo Glide (1958 – 1964) und Electra Glide (1965 – 1993), die auch von Streifenpolizisten auf den Highways eingesetzt wurden.
1960 beteiligte sich Harley-Davidson an der Motorradabteilung des italienischen Flugzeugherstellers Aeronautica Macchi (Aermacchi) und importierte daraufhin deren Leichtmotorräder in die USA, wo sie als Harley-Davidson vermarktet wurden. Das Aermacchi-Werk in Schiranna übernahm Harley-Davidson 1974 vollständig und ließ dort Harleys für den italienischen Markt herstellen. 1978 wurde es jedoch wieder verkauft (daraus entstand Cagiva).
1965 wandelte die Davidson-Familie das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, behielt aber zunächst die Aktienmehrheit. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre gingen die Verkäufe empfindlich zurück, was 1969 zur Übernahme durch den Mischkonzern American Machine and Foundry Company (Boote, Bowlingcenter, Sport- und Fitnessgeräte, Fahrräder, Gartengeräte, Kernreaktoren, Mopeds, Raketentechnik, Schneemobile, Spielwaren) führte, der die Produktion rationalisierte und die Belegschaft abbaute.
Unerwartete Hilfe kam 1969 durch den Spielfilm »Easy Rider«, in dem die Schauspieler Peter Fonda und Dennis Hopper mit ihren Harley-Choppers über die Highways cruisten. »Easy Rider« machte auch die Chopper-Maschinen (von »chop« = zerhacken) salonfähig, die es zwar schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Kalifornien gab, die aber lange Zeit nur von ganz eingefleischten Motorradfans in Eigenregie umgebaut wurden. Für den Film wurden vier ehemalige Polizei-Hydra-Glide-Maschinen aus den Jahren 1949, 1950 und 1952 verwendet, die man auf einer Auktion erworben hatte und die anschließend von Cliff Vaughs und Ben Hardy zu Choppern umgebaut wurden. Harley-Davidson war auf Anfrage der Filmcrew nicht bereit gewesen, Motorräder für den Film zur Verfügung zu stellen.
Harley-Davidson konnte mit der neuen Zielgruppe anfangs nur wenig anfangen. Der Film machte die Marke zwar weltweit bekannt, aber die Hobby-Motorradfahrer, die damals die Hauptkunden waren, wollten mit den langhaarigen, schmuddeligen und teilweise gewalttätigen Bikern in ihren schwarzen Ledermonturen nichts zu tun haben und das Management der Firma hatte Angst, ihre Hauptzielgruppe mit einem harten Biker-Image zu verschrecken. Die Nachfrage stieg jedoch so stark, dass man 1971 dann doch eine Harley-Chopper vom Fließband anbot (FX Super Glide).
Ab den 1970er Jahren hatte Harley-Davidson mit der immer stärker werdenden japanischen Konkurrenz von Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha zu kämpfen, die ähnlich gestylte Motorräder wesentlich billiger auf den US-Markt brachte, aber auch mit wachsenden Qualitätsproblemen. Die Qualität war zeitweise so schlecht, dass die Händler in ihren Ausstellungsräumen Gummimatten unter die Maschinen legen mussten, um das Öl, das aus zahlreichen Leitungen tropfte, aufzufangen. Außerdem wurden Straßenreparaturwerkstätten eröffnet, die liegengebliebene Harleys reparierten oder zurück zum Händler transportierten. Die Folge war, dass selbst eingefleischte Harley-Fans plötzlich japanische Maschinen kauften. Harley-Davidson musste die Produktion herunterfahren, die Löhne kürzen und fast die Hälfte der Belegschaft entlassen. Das Unternehmen schrieb Anfang der 1980er Jahre tiefrote Zahlen.
1981 erwarb das damalige Management die Firma wieder zurück (u. a. Charles Thompson, Vaughn Beals, Willie G. Davidson). Angeblich soll die Citibank Willie Davidson, den Enkel des Firmengründers, der selbst wie ein beinharter Harley-Fahrer aussah, nach Sicherheiten gefragt haben, worauf der antwortete: »Ich habe das einzige Firmenlogo der Welt, das sich Menschen tätowieren lassen.« Die Manager bekamen das Geld – immerhin rund achtzig Millionen Dollar. Als die Harley-Davidson-Manager 1982 eine Honda-Fabrik in Ohio besichtigten, wurde ihnen bewusst, wie schlecht ihr Produktionssystem war. Die US-Regierung griff dem Traditionsunternehmen unter die Arme, indem es von 1983 bis 1987 die Einfuhrzölle auf japanische Motorräder stark erhöhte. 1985 schlitterte das Unternehmen knapp an einem Konkurs vorbei, doch dann ging es allmählich aufwärts. Die Qualität wurde besser, die Produktivität stieg und 1987 machte Harley-Davidson wieder einen ansehnlichen Gewinn.
1983 rief Harley-Davidson die Harley Owners Group (HOG) ins Leben, einen Motorradclub, in dem Millionen Harley-Fahrer aus aller Welt Mitglied sind. Durch die Vermarktung von Fanartikeln für die Clubmitglieder erschloss sich das Unternehmen auch eine neue Einnahmequelle. In der Folge haben zahlreiche Firmen und Marken versucht, derartige Fanclubs aufzubauen – allerdings ohne Erfolg. Kein anderes Unternehmen konnte sich einen derart soliden Ruf und eine so treue Kundschaft aufbauen wie Harley-Davidson.
Inzwischen ist die Kundschaft eine andere geworden. Waren es früher eher Vertreter der Unter- und Mittelschicht, die eine Harley fuhren, sind es nun vor allem gutverdienende Manager, Rechtsanwälte, Büroangestellte oder Broker, die am Wochenende über die Landstraßen cruisen.
Von 1993 bis 2003 erwarb Harley-Davidson die Buell Motorcycle Company aus Grand Rapids/Michigan, die der ehemalige Harley-Davidson-Ingenieur Erik Buell 1983 gegründet hatte. Die Marke wurde jedoch 2009 eingestellt. 2008 kehrte Harley-Davidson mit dem Kauf von MV-Agusta/Cagiva nach dreißig Jahren wieder für kurze Zeit nach Italien zurück, doch bereits 2010, als die Amerikaner selbst mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hatten, kaufte Cagiva-Gründer Claudio Castiglioni die Firma zurück.
2020 wurde der deutsche Manager und frühere Puma-Chef Jochen Zeitz CEO von Harley-Davidson. Der versuchte aus der Motorradschmiede eine wokes Unternehmen zu machen (Diversity, Equity, Inclusion, Verbrennermotoren abschaffen). Allerdings hatte er die Rechnung ohne seine eigene Kundschaft gemacht. Die zumeist sehr konservativen Biker initiierten über Monate hinweg eine großangelegte Boykottkampagne in den sozialen Medien, woraufhin der Harley-Vorstand im Sommer 2024 zurückruderte. Nun beschränkt sich das Unternehmen wieder auf traditionelle Werte: coole Motorräder bauen und einen guten Service anbieten.
Harley-Davidson betreibt Produktionswerke in Kansas City/Missouri, Manaus (Brasilien), Menomonee Falls/Wisconsin, Rayong (Thailand), Tomahawk/Wisconsin und York/Pennsylvania. Das Ur-Werk in der Juneau Avenue (damals Chestnut Street) in Milwaukee war von 1906 bis 1973 in Betrieb; das Werk wurde inzwischen in das Wisconsin Historical Society Register of Historic Places (1989) und in das National Register of Historic Places (1994) aufgenommen. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich noch immer Milwaukee/Wisconsin.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain