Markenlexikon
Pierre-François Pascal Guerlain (1798 – 1864), der Sohn eines Gewürzhändlers und Zinngießers, studierte zunächst in England Medizin und Chemie. 1828 eröffnete er im Erdgeschoss des Pariser Hotels Meurice ein Parfumgeschäft und in der Nähe des Arc de Triomphe eine eigene Fabrikation (Fabrique de l'Etoile). Gemeinsam mit seinen Söhnen Aimé und Gabriel entwickelte er dort zahlreiche Parfums. 1839 entstand ein weiteres Geschäft in der Rue de la Paix 11 (später Nr. 15). Zu den Kunden der Guerlains gehörten bald alle Königshäuser Europas. 1853 kreierte er für die französische Kaiserin Eugénie anlässlich ihrer Vermählung mit Napoleon III. das Parfum Eau de Cologne Impériale, eine Mischung aus Orangenblüten, Bergamotte, Zitrone, Lavendel und Rosmarin. Die Flasche, der weltberühmte Bienenflakon, wurde von der Glasfabrik Pochet & du Courval hergestellt. Zum Dank erhielt Pierre-François Guerlain anschließend den Titel »Geprüfter Parfümeur seiner Majestät«.
Nach dem Tod des Gründers führten seine Söhne die Geschäfte weiter. Aimé kümmerte sich um die Duftkreationen und Gabriel um das Geschäftliche. Bei dem Parfum Jicky verwendete Aimé Guerlain 1889 erstmals in der Geschichte des Parfums natürliche und synthetische Essenzen. Der Name Jicky soll, so die Legende, auf eine junge Engländerin zurückgehen, in die sich Aimé während seines Studiums verliebt hatte. Neben Parfums produzierte Guerlain u. a. Augen-Make-Up, Balsam, feste Schminke, Gesichtspuder und Lippenfarbe. Die Firma erfand auch den Lippenstift mit Gehäuse und Schiebemechanismus. Er wurde ab 1870 unter dem Namen Ne m’oubliez pas (Vergiss mich nicht) verkauft.
Gabriels Söhne Pierre (Geschäftsführung) und Jacques (Chefparfumeur) führten das Haus Guerlain in dritter Generation weiter. Jacques Guerlain, der sich gerne von Heldinnen der Literatur und seiner Liebe zu fernen Ländern inspirieren ließ, schuf erfolgreiche Düfte wie Mouchoir de Monsieur (1904), Après L'Ondée (1906), L'Heure Bleue (1912), Mitsouko (1919), Shalimar (1925), Liù (1929), Vol de Nuit (1933) oder Ode (1955). Besonders der orientalische Duft Shalimar (sanskrit = Tempel der Liebe), eine Komposition aus Vanille, Bergamotte und Zitrone, erwies sich als außerordentlich langlebiger Verkaufsschlager. Den Flakon aus Baccarat-Kristall, der an die Vasen des Gartens Shalimar erinnern soll, entwarf Raymond Guerlain.
Der letzte Parfumeur aus der Guerlain-Familie war ab 1955 Jean-Paul Guerlain (* 1937) – auch »Le Nez« (Die Nase) genannt. Er entwickelte Parfums wie Vétiver (1959), Chant d'Arômes (1962), Habit Rouge (1965), Chamade (1969), L'eau de Guerlain (1974), Parure (1975), First (1976), Silences (1978), Nahéma (1979), Jardins de Bagatelle (1983), Derby (1985), Samsara (1989), Héritage (1992) und Coriolan (1998). Nachdem die Guerlain-Familie das Unternehmen 1994 an den französischen Luxusgüterkonzern LVMH (Christian Dior, Dom Pérignon, Givenchy, Hennessy, Kenzo, Louis Vuitton, Moët & Chandon) verkauft hatte, blieb er noch bis 2002 als Parfumeur bei Guerlain, doch wurden nun neben ihm auch andere Parfumeure mit den Duftkreationen beauftragt. Anschließend war er nur noch als Berater tätig.
2010 wurde Jean-Paul Guerlain von Guerlain entlassen, nachdem er sich im französischen Fernsehen in abfälliger Weise über Schwarze geäußert hatte. Um seinen Duft Samsara zu erschaffen, habe er »gerackert wie ein Neger. Wobei ich nicht weiß, ob Neger jemals so hart geschuftet haben.« Daraufhin kam es Boykottaufrufen gegen Guerlain, die zu Umsatzeinbrüchen in den Guerlain-Geschäften führten. Wegen der rassistischen Äußerungen wurde Jean-Paul Guerlain 2012 von einem Pariser Gericht zu einer Geldstrafe in Höhe von sechstausend Euro verurteilt.
Text: Toralf Czartowski