Markenlexikon
Am 25. Dezember 1990 schlug in Genf die Geburtsstunde des World Wide Web. Hintergrund war die Tatsache, dass der Austausch von Forschungsergebnissen zwischen den einzelnen Laboratorien des europäischen Kernforschungszentrums CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) aufgrund unterschiedlicher Netzwerk-Infrastrukturen in der Schweiz und in Frankreich nur sehr eingeschränkt möglich war. Der britische Informatiker Timothy Berners-Lee (* 1955), der damals am CERN angestellt war, entwickelte daher 1989/1990 das Hypertext Transfer Protokoll HTTP (ein Protokoll zur Übertragung von Daten über ein Netzwerk), die Auszeichnungssprache HTML/Hypertext Markup Language (die festlegt, wie die Informationen gegliedert sind und wie die Dokumente verknüpft sind), den ersten Webserver info.cern.ch. (auf dem die daten gespeichert sind) sowie den ersten Webrowser, der die Daten vom Webserver holt und am Bildschirm anzeigt; er hieß zunächst WorldWideWeb, wurde aber später in Nexus umbenannt (weil er nur auf dem Betriebsystem NeXTStep funktionierte). Der Browser WorldWideWeb konnte anfangs lediglich formatierten und strukturierten Text anzeigen, aber keine Grafiken und Fotos. Der eigentliche Clou waren die Hyperlinks, die auf andere Dokumente verweisen, egal auf welchem Webserver sie gespeichert sind. Dadurch entstand bald ein weltweites Netz aus Webseiten.
Hypertextuelle Strukturen sind schon seit Jahrhunderten bekannt (z.B. Inhaltsverzeichnisse, Indizes, Querverweise, Fußnoten, Quellenangaben), allerdings waren die Verweisziele meist nicht vor Ort präsent und das Verfolgen der Verweise funktionierte nicht mechanisiert. Der Begriff »Hypertext« wurde erst 1965 von dem Gesellschaftswissenschaftler Ted Nelson geprägt.
Das über das Internet abrufbare Hypertext-System World Wide Web (WWW) wurde am 6. August 1991 weltweit zur allgemeinen Benutzung freigegeben. Doch obwohl Tim Berners-Lee die Vorzüge des WWW fast missionarisch an vielen Universitäten der Welt anpries, kam das Projekt nur sehr schleppend in Gang. 1992 entwickelte der taiwanesische Student Pei-Yuan Wei an der University of California in Berkeley den Browser ViolaWWW, der erstmals auch Grafiken anzeigen konnte (allerdings musste dazu erst auf den entsprechenden Verweis geklickt werden). Größere Verbreitung fand ab 1993 der an der University of Illinois vom National Center for Supercomputing Applications (NCSA) entwickelte Browser NCSA Mosaic, der nun erstmals auch für die Betriebsysteme UNIX, Windows und MacOS sowie in vielen Sprachen verfügbar war. Mosaic konnte Grafiken erstmals automatisch anzeigen.
Marc Andreessen, einer der Mitentwickler von Mosaic, und James Clark (Gründer von Silicon Graphics) riefen 1994 in Mountain View/California die Mosaic Communications Corporation ins Leben. Im gleichen Jahr entwickelte Netscape den Browser Mosaic Netscape. Kurz nach der Gründung musste die Firma in Netscape Communications Corporation umfirmiert werden und der Browser in Netscape Navigator, weil das NCSA Einspruch gegen die Verwendung des Namens Mosaic erhob. Das Unternehmen verdiente sein Geld hauptsächlich mit Software für Server und Webserver, während der Netscape Navigator durch Internet Service Provider lizenziert wurde, die ihn ihrer Installationssoftware beilegten. Andererseits konnten Testversionen und – später auch vollständige Versionen – des Navigators auch kostenlos im Internet heruntergeladen werden. Netscape entwickelte darüber hinaus die Cookie-Technologie und SSL (Secure Sockets Layer) zur Übertragung von sensiblen Informationen.
Der Netscape Navigator war bis Mitte der 1990er Jahre quasi Industriestandard, wurde dann aber durch den in die Betriebssysteme Windows 95 und 98 integrierten Internet Explorer 3.0 und 4.0 von Microsoft allmählich verdrängt. Microsoft verankerte den Internet-Explorer so tief im System, das eine Deinstallation für Laien praktisch unmöglich war. Dieses Szenario führte zum so genannten Browser-Krieg zwischen Netscape und Microsoft. Die Konkurrenten implentierten ständig neue und undokumentierte HTML-Befehle in ihre Browser, die von dem 1994 gegründeten Standardisierungsgremium World Wide Web Consortium (W3C) gar nicht vorgesehen waren, und in aller Regel auch nur in dem betreffenden Browser funktionierten. Ab 1998 gingen die US-Kartellbehörden gegen die Kopplung von Microsofts Betriebsystem und Browser vor, das Verfahren zog sich jedoch jahrelang hin. Als Nachfolger des Netscape Navigaotors 3.x veröffentlichte Netscape 1997 den Netscape Communicator 4.0 (mit Webbrowser, HTML-Editor, E-Mail-Programm, News-Client).
Da die Netscape-Verantwortlichen allmählich einsahen, dass sie den Browser-Krieg verlieren würden, veröffentlichten sie den Quellcode des Netscape Navigators im Januar 1998. Einen Monat später entstand die Mozilla Organisation (oder kurz mozilla.org), die zunächst nur aus den Netscape-Mitarbeitern bestand, die schon an der Entwicklung des Navigators/Communicators beteiligt gewesen waren. Der Name Mozilla, der schon früher als interner Codename für den Netscape Navigator verwendet worden war, entstand vermutlich aus dem Wort »Mosaic« (oder »Mosaic Killer«) und dem japanischen Filmmonster Godzilla (bereits der Netscape Navigator verwendete eine grüne Eidechse als Maskottchen).
Im November 1998 wurde die Netscape Communications Corporation vom Online-Dienst AOL übernommen, der vor allem an dem Portal von Netscape interessiert war; die Server-Software-Sparte wurde anschließend an Sun Microsystems verkauft, das Potal in AOL integriert. 1999 begann ein neues Entwicklerteam mit der Programmierung einer vollkommen neuen Rendering-Engine (ein Teilbereich eines Webbrowsers zur visuellen Repräsentation von HTML) namens Gecko. In den nächsten Jahren veröffentlichten AOL/Netscape und Mozilla auf Basis der Gecko-Engine zahlreiche Browser und Application-Suites (Webbrowser, E-Mail-Programm, HTML-Editor, Adressbuch), die als Netscape (2000 Version 6.0, 2002 Version 7.0), Netscape Communicator (2002 Version 4.8), Netscape Navigator, Mozilla (2002 Mozilla 1.0) und Mozilla Firefox (ab 2004) vermarktet wurden. Besonders der 2004 aus der Mozilla-Application-Suite ausgegliederte kostenfrei Browser Firefox entwickelte sich inzwischen weltweit zum zweithäufig genutzten Browser nach dem Internet-Explorer. Gründe dafür waren vor allem seine hohe Geschwindigkeit, innovative Technologien (Unterstützung für Umlaut-Domains, gleichzeitiges Öffnen mehrerer Browser-Instanzen, Popup-Blocker, CSS-Unterstützung) und die größere Sicherheit (da er nicht so tief im Betriebssystem verwurzelt ist wie der Internet-Explorer). Die Entwicklung der Mozilla-Application-Suite wurde 2006 zugunsten der Einzelprogramme Firefox und Thunderbird (E-Mail-Programm, Newsreader, RSS-Client). Die Application-Suite wird jedoch intern unter dem Namen SeaMonkey weiterentwickelt.
Alle Mozilla-Programme wurden übrigens nach amerikanischen Autos benannt; Firefox (ursprünglich Firebird) und Sunbird, eine plattformunabhängige Personal-Information-Manager-Software, nach dem Pontiac Firebird, Thunderbird nach dem gleichnamigen Ford-Modell und Camino, der 2007 veröffentlichte Mozilla-Browser für das Apple-Betriebssystem MacOS, nach dem Chevrolet El Camino. Der Browser hieß ursprünglich erst Phoenix (es gab aber schon den BIOS-Hersteller Phoenix Technologies, der gegen die Verwendung des Namens klagte), dann entschied man sich für Firebird (nach dem Pontiac Firebird), doch wegen der Namensgleichheit mit der Open-Source-Datenbank Firebird änderte man ihn schließlich in Firefox (engl. für Rotfuchs).
Im Juli 2003 schloss AOL die Netscape-Entwicklungsabteilung in Mountain View; gleichzeitig wurde die Mozilla Organisation in eine Non-Profit-Organisation umgewandelt (Mozilla Foundation). Die Rechte am Namen Netscape behielt AOL, den Markenname Mozilla bekam die Stiftung. AOL beteiligte sich an der Stiftung mit 2 Millionen Dollar; Mitch Kapor, der Gründer der früheren Softwarefirma Lotus (Lotus 1-2-3), steuerte 300.000 Dollar bei. Die Weiterentwicklung des Netscape Browsers, der weiterhin auf Mozilla bzw. Mozilla Firefox basierte, wurde von AOL 2007 eingestellt. 2005 gründete die Mozilla Foundation das kommerzielle Unternehmen Mozilla Corporation, das für die Weiterentwicklung, die Vermarktung, das Sponsoring und den professionellen Support der Projekte Firefox und Thunderbird zuständig ist. Die Stiftung kümmert sich heute nur noch um generelle Strategien der Entwicklung und Vermarktung, außerdem besitzt sie die Markenrechte und Patente.
Zwischen 2009 und 2016 veröffentlichte Mozilla mehrere Firefox-Varianten für Mobilgeräte (2009 Nokia, 2010 Windows Mobile, 2011 Android, 2016 iOS). Firefox Mobile ist auch unter dem Codenamen Fennec (Wüstenfuchs) bekannt. Seit 2018 arbeitet Mozilla an dem Fenix-Projekt, das Firefox Mobile eventuell ersetzen soll.
Ab 2011 entwickelt Mozilla ein Linux-basiertes Betriebssystem für Smartphones und Tablet-Computer (Firefox OS). 2013 kamen die ersten Smartphones mit Firefox OS auf den Markt (Geeksphone, ZTE Open, Alcatel One Touch Fire, LG Fireweb). 2016 wurde die Weiterentwicklung von Mozilla eingestellt. Da Firefox OS ein Open-Source-Projekt war, gibt es inzwischen Nachfolgeprojekte (KaiOS von KaiOS Technologies, H5OS von Acadine Technologies, Panasonic), die das Betriebssystem weiterentwickeln.
Firefox war lange Zeit neben Microsofts Internet Explorer der weltweit führende Browser. Der Höhepunkt war 2010 mit einem weltweiten Marktanteil von 30 Prozent erreicht. Besonders erfolgreich war Firefox in Deutschland. Mit der Einführung von Googles Chrome-Browser (2012), der auf fast allen Android-Smartphones zusammen mit weiteren Google-Diensten vorinstalliert ist, und dem Nutzungswandel weg von Desktop-Geräten hin zu Mobilgeräten ging der Marktanteil von Firefox jedoch kontinuierlich zurück.
Die Mozilla Foundation mit Sitz in Mountain View finanziert sich vor allem durch Abkommen mit Suchmaschinenanbietern wie etwa Google (Standardsuchmaschine in Firefox) und Yahoo (ab 2015) aber auch durch Spenden. Überschüsse werden größtenteils als Rücklagen in risikoarme Kapitalanlagen investiert.
Text: Toralf Czartowski