Markenlexikon
Die Società Anonima Fabbrica Italiana Automobili Torino (FIAT) wurde 1899 von neun Teilhabern gegründet (Ludovico Scarfiotti, Emanuele Cacherano di Bricherasio, Giovanni Agnelli, Michele Ceriana, Alfonso Ferrero di Ventimiglia, Cesare Goria-Gatti, Roberto Biscaretti di Ruffia, Carlo Racca, Luigi Damevino). Der ehemalige Kavallerieoffizier und Gutsbesitzer Giovanni Agnelli (1866 – 1945) dominierte die Firma jedoch bald und wurde zum führenden italienischen Industriellen seiner Zeit. Als Basis für das neue Unternehmen dienten die Produktionsanlagen, das Personal und die Konstruktionspläne der Autofirma Ceirano, die die Brüder Giovanni Battista und Matteo Ceirano 1898 in Turin gegründet hatten. Der erste Fiat, ein kutschenähnliches Gefährt mit 700-Kubikzentimeter-Heckmotor und 4,2 PS, war im Prinzip ein Ceirano. 1900 eröffnete Fiat die erste eigene Fabrik in Turin. Im ersten Jahr bauten dort 35 Angestellte 24 Exemplare des Fiat 4 HP zusammen.
Unter den von Ceirano übernommenen Mitarbeitern befand sich auch der damals 18-jährige Buchhalter und Rennfahrer Vincenzo Lancia, der sich allerdings lieber um Motoren als um Zahlen kümmerte. Fiat stellte ihn gemeinsam mit Felice Nazzaro als Test- und Rennfahrer ein. Lancia gewann zahlreiche Rennen mit Fiat-Fahrzeugen und verhalf dem jungen Unternehmen damit zu internationalem Ruhm. Lancia gründete 1906 eine eigene Firma, die jedoch 1969 wieder von Fiat übernommen wurde.
Inspiriert von einem Besuch in der Highland Park Ford Plant (USA) beschloss Giovanni Agnelli 1916 den Bau eines neuen Werkes im Turiner Stadtteil Lingotto, das 1922 eingeweiht wurde. Das Lingotto-Werk war damals für kurze Zeit die größte Autombilfabrik der Welt. Auf dem Dach befand sich eine Teststrecke, auf der die Autos sofort nach der Fertigstellung getestet werden konnten (die Lingotto-Fabrik wurde 1982 geschlossen und in ein Kultur- und Messezentrum umgewandelt). 1939 entstand in Turin eine weitere Fabrikanlage (Mirafiori); auf 300.000 Quadratmetern bebauter Fläche arbeiteten rund 22.000 Arbeiter. Das gesamte Gelände war eine Million Quadratmeter groß.
Obwohl das Unternehmen seit jeher auch größere Fahrzeuge produzierte, steht der Name Fiat vor allem für Klein- und Kompaktwagen wie die Modelle Fiat 508 Balilla (1932 – 1937), Fiat 500 Topolino (1936 – 1955), Fiat 600 Seicento (1955 – 1969), Fiat Nuova 500 (1957 – 1975), Fiat 124 (1966 – 1985), Fiat 126 (1972 – 1987), Fiat 127 (1971 – 1987), Fiat 131 Mirafiori (1974 – 1984), Fiat Panda (seit 1980), Fiat Uno (1983 – 2014), Fiat Tipo (1988 – 1995; seit 2015), Fiat Cinquecento (1991 – 1998), Fiat Punto (1993 – 2018), Fiat Bravo/Brava/Marea (1995 – 2002, 2007 – 2014) und Fiat 500 (2007 – 2024). Viele dieser Fahrzeuge wurden auch in anderen Ländern in Lizenz gefertigt, teilweise entstanden daraus neue Firmen, u.a. 1907 Austro-Fiat in Österreich, 1919 SEAT in Spanien, 1932 Polski-Fiat in Polen, 1934 Simca in Frankreich, 1948 Fabryka Samochodów Osobowych (FSO) in Polen, 1954 Zastava/Yugo in Jugoslawien, 1955 Premier in Indien, 1968 Tofaş in der Türkei und 1969 Lada in der Sowjetunion. Fiat ist in südeuropäischen Ländern ungefähr das, was Volkswagen in Deutschland, Austin-Morris (Mini) in Großbritannien, Renault in Frankreich und Ford in den USA war, ein Massenhersteller, der weniger durch technische Innovationen auffiel, sondern eher dadurch, dass er das Automobil einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich machte.
Fiat produzierte neben Personenwagen bald auch Lastwagen (ab 1903), Flugmotoren (ab 1908), Flugzeuge (ab 1916), Schienenfahrzeuge (ab 1917), Fahrzeugteile (ab 1919), Traktoren (ab 1919), Raupenschlepper (ab 1932), Planierraupen (ab 1945) und Radlader (ab 1958). In den 1960er und 1970er Jahren entwickelte die in Savigliano bei Turin ansässige Eisenbahnsparte Fiat Ferroviaria die elektro-hydraulische Neigetechnik, die es Eisenbahnzügen erlaubt, schneller durch Kurven zu fahren (Pendolino). Die meisten dieser Geschäftsbereiche wurde inzwischen verkauft (Schienenfahrzeuge) oder verselbstständigt, woraus Unternehmen wie CNH (Bau- und Landmaschinen), Iveco (Nutzfahrzeuge), Leonardo (Luft- und Raumfahrt) und Magneti-Marelli (Fahrzeugteile) entstanden. Im Laufe der Jahre erwarb der Fiat-Konzern auch mehrere andere Autohersteller (1968 Autobianchi, 1969 Lancia, 1969 Ferrari, 1971 Abarth, 1986 Alfa-Romeo, 1989 Maserati).
Infolge der weltweiten Krise auf dem Automarkt beteiligte sich Fiat 2009 mit 20 Prozent am damals insolventen US-Autokonzern Chrysler (Chrysler, Dodge, Jeep, Ram). Fiat bekam dadurch Zugang zum US-Markt, wo die Italiener mit ihren Klein- und Mittelklassewagen bis zu diesem Zeitpunkt nicht vertreten waren, Chrysler die nötige Technologie zum Bau von Kleinwagen. 2010 spaltete sich der Fiat-Konzern in die beiden Teile Fiat (Pkw, Kleintransporter) und Fiat Industrial (ab 2013 CNH Industrial; Baumaschinen, Nutzfahrzeuge, Landmaschinen) auf. Bis 2014 übernahm Fiat auch die restlichen Chrysler-Anteile. Das neue nach niederländischem Recht organisierte Unternehmen firmierte nun als Fiat Chrysler Automobiles (FCA).
2021 schlossen sich FCA (Abarth, Alfa-Romeo, Chrysler, Dodge, Jeep, Fiat, Lancia, Maserati, Ram) und PSA Peugeot-Citroën (Citroën, DS, Opel, Peugeot, Vauxhall) zum Konzern Stellantis zusammen. Zu den wichtigsten Stellantis-Aktionären gehören die Familien Agnelli (über die Familienholding Exor) und Peugeot (über Etablissements Peugeot Frères), der französische Staat (über die staatliche Investmentbank Bpifrance), der zuvor an Peugeot beteiligt gewesen war, und die chinesische Dongfeng Motor Corporation.
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain