Markenlexikon
In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren war Rumäniens Staatschef Nicolae Ceaușescu – obwohl Kommunist – ein gern gesehener Gast im Westen, was vor allem daran lag, dass er sich vom Führungsanspruch der Sowjetunion innerhalb des kommunistischen Bewegung distanzierte und die nationale Eigenständigkeit seines Landes betonte. 1967 nahm Rumänien als erstes Land des sowjetischen Einflussbereichs diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf und 1968 weigerte sich Ceaușescu rumänische Truppen für die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings zur Verfügung zu stellen. Zum Dank besuchte US-Präsident Richard Nixon 1969 Rumänien, ein Jahr später wurde Ceaușescu zum Staatsbesuch in die USA eingeladen. Sogar in den Internationalen Währungsfonds und in die Weltbank nahm man das kommunistische Land auf. Von dem später praktizierten teilweise bizarren Personenkult Ceaușescus war damals in der Öffentlichkeit freilich noch nichts zu spüren.
Während sich Ceaușescu im Glanz seiner internationalen Popularität sonnte, gaben sich westliche Konzerne in Bukarest die Klinke in die Hand. So vergab der deutsche MAN-Konzern 1969 an die Firma Întreprinderea de Autocamioane Brașov eine Lizenz zur Fertigung von MAN-Nutzfahrzeugen (Roman-Lkw), der britische Flugzeughersteller British Aerospace lieferte mehrere Flugzeuge und Bausätze seines Modells BAC One Eleven an das Unternehmen Intreprinderea de Reparatii Material Aeronautic (IRMA), wo eine Lizenzproduktion dieses Passagierflugzeugs geplant war (ROMBAC 1-11) und der französische Staatskonzern Renault errichtete für das Unternehmen Uzina de Autoturisme Pitești (UAP) 1968 in Colibaşi (heute Mioveni), rund 15 Kilometer von Pitești entfernt, ein neues Produktionswerk, wo die Lizenzproduktion der Mittelklassemodelle Renault 8 (1962 – 1973) und Renault 12 (1969 – 1980) erfolgen sollte. UAP war erst 1966 als Tochterfirma eines 1952 errichteten Zulieferwerkes in Pitesti gegründet worden; zuvor hatte die Firma den Nutzfahrzeughersteller Întreprinderea de Autocamioane Brașov (Roman- und DAC-Lkw) mit Fahrzeugteilen beliefert.
Von 1968 bis 1969 lief in Colibaşi der Renault 8 als Dacia 1100 vom Band und als der Renault 12 schließlich im Oktober 1969 auf den Markt kam, begann zeitgleich die Produktion des Dacia 1300. Der robuste R12 war von Renault vor allem für den Einsatz auf den schlechten Straßen in Nordafrika entwickelt worden, und wenn man einmal von der damals weit verbreiteten Rostanfälligkeit aller Autos absieht, war er auch für osteuropäische Straßen eine gute Wahl. Der Name Dacia geht auf die alte römische Provinz Dacia (Dakien) zurück, die ungefähr dem Gebiet des heutigen Rumäniens entsprach.
Nach dem Auslaufen des Lizenzvertrages mit Renault wurden weiterhin R12-Abkömmlinge gebaut (1310, 1210, 1310, 1410, 1400, 1325 Liberta), u.a. ein Pickup mit Hinterradantrieb (1975 – 2006), außerdem der Kleintransporter Dacia D6 (1975 – 1978), der auf dem Renault Estafette basierte, und der Dacia 2000 (1981 – 1989), eine Limousine für Staatsfunktionäre, die baugleich mit dem Renault 20 war. Gemeinsam mit den Firmen ARO Auto România (Câmpulung), Oltcit (Craiova) und IAT (Interprinderea de Autoturisme Timișoara) wurde in Timișoara von 1986 bis 1989 der Kleinstwagen Dacia 500 gefertigt.
1995 kam der Dacia Nova (1995 – 2000) auf den Markt, der teilweise auf dem Peugeot 309 basierte; beide Firmen, Peugeot und Dacia, waren in den 1990er Jahren durch eine lose Kooperation miteinander verbunden. 1999 wurde das Staatsunternehmen Dacia schließlich vom früheren Partner Renault mehrheitlich (51 Prozent) übernommen, dessen 1970er-Jahre-Modell R12 damals in Colibaşi noch immer vom Band lief. Die Produktion des Dacia Nova wurde in überarbeiteten Versionen (SupeRNnova, Solenza) noch bis 2003 bzw. 2005 fortgesetzt, der Dacia 1300 und der Dacia Pickup blieben bis 2004 bzw. 2006 in Produktion.
2005 brachte Dacia das schlichte aber außergewöhnlich preiswerte »5000-Euro-Auto« Logan auf den Markt (Slogan: »Mehr Auto braucht kein Mensch.«), das vor allem für die Märkte in Afrika, China, Indien, Iran, Osteuropa und Südamerika bestimmt war, sich aber bald auch in westeuropäischen Ländern recht gut verkaufte, hier allerdings für einen etwas höheren Preis. Entwickelt wurde der Logan von Renault auf Basis bereits vorhandener Technik, produziert wird er als Stufenheck-Limousine, Kombi, Lieferwagen und Pickup in China, Indien, Iran, Kolumbien, Marokko, Rumänien und Russland. Je nach Region trägt das Modell unterschiedliche Namen (Dacia Logan, Renault Logan, Nissan Aprio, Nissan NP200 Pickup, Mahindra Renault Logan, Tondar 90, Mahindra Verito). 2008 brachte Dacia den kompakten Dacia Sandero/Renault Sandero auf den Markt, der auf dem Renault Clio basiert und bei Renault in Curitiba (Brasilien) und Dacia in Pitești gebaut wird. Weitere Dacia-Modelle waren/sind der Dacia Duster (ab 2010; SUV), der Dacia Lodgy (2012 – 2022; Kompaktvan), der Dacia Dokker (2012 – 2021; Hochdachkombi), der Dacia Jogger (ab 2022; Kompaktvan) und der Dacia Spring (ab 2021; Elektro-Mini-Van).
In den beiden Dacia-Werke Mioveni und Pitești werden die Modelle Logan und Sandero sowie die Pickups produziert. Die anderen Modelle stammen aus verschiedenen Renault-Werken. Den Dacia Spring baut die Dongfeng Motor Corporation in Wuhan. Im Juli 2021 überholte der Dacia Sandero (20.446 Exemplare) bei den europaweiten Neuzulassungen erstmals den VW Golf (19.425 Exemplare).
Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain