Markenlexikon
Christopher (Chris) Norman Wright (* 1944) studierte an der Universität von Manchester Politik und Geschichte. Nebenbei organisierte er regionale Bands, die bei Veranstaltungen und Feiern der Universität auftraten. 1966 entdeckte eine Band namens Jaybirds, die sich bald darauf in Ten Years After umbenannte. Er wurde ihr Manager und besorgte ihnen einen Plattenvertrag mit dem Decca-Label Deram. Ganz ähnlich lief es bei Terry Ellis (* 1944), der an der University of Newcastle upon Tyne Mathematik und Metallkunde studierte. Auch er organisierte anfangs eher hobbymäßig Konzerte für Kollegen. Nebenher schrieb er auch Artikel für eine Studentenzeitung. Beide gründeten 1967 die Künstleragentur Ellis-Wright.
Ten Years After wurde zu einer überaus erfolgreichen Band der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. 1968 nahm Ellis-Wright mit Jethro Tull eine weitere Band unter Vertrag, die Musikgeschichte schreiben sollte. Das erste Jethro-Tull-Album, das Terry Ellis produzierte, war »This Was« (1968); es wurde noch von Island Records und Reprise Records (USA) vertrieben, ebenso wie »Stand Up« (1969).
1969 gründeten Wright und Ellis dann ihr eigenes Label Chrysalis Records. Dessen Name stand einerseits für die Gründer (Chris + Ellis), andererseits bedeutet das Wort »Chrysalis« in der Zoologie auch »Puppe«, also ein Übergangsstadium zwischen der Insekten-Larve und dem geschlechtsreifen Vollinsekt. Als Logo wählte man einen Schmetterling aus. Den Vertrieb übernahmen auch weiterhin Island und Warner/Reprise. Ellis produzierte zusammen mit Ian Anderson mehrere Jethro-Tull-Alben: »This Was« (1969), »Stand Up« (1969), »Aqualung« (1971), »Thick As A Brick« (1972) und »Living In The Past« (1972).
1972 nahm Chrysalis Procol Harum unter Vertrag, eine britische Rockband, die 1967 mit dem Song »A Whiter Shade Of Pale« weltweite Berühmtheit erlangt hatte. 1973 folgte Leo Sayer (1977 »You Make Me Feel Like Dancing«, »When I Need You«; 1980 »More Than I Can Say«). Der nächste große Erfolg für Chrysalis kam 1978 mit der US-Band Blondie, die in den nächsten Jahren immer wieder den Sprung in die weltweiten Charts schaffte (1979 »Heart Of Glass«, »Sunday Girl«, »Atomic«; 1980 »Call Me«, »The Tide Is High«; 1981 »Rapture«; 1986 »French Kissin«).
1980 gab Chrysalis der britischen Synthie-Pop-Band Ultravox einen neuen Vertrag, nachdem sie ihren alten mit Island verloren hatten. Ultravox revanchierte sich mit dem Platin-Album »Vienna«, das sich hervorragend verkaufte, ebenso wie die vier ausgekoppelten Singles »Sleepwalk«, »Passing Strangers«, »Vienna« und »All Stood Still«. Island brachte daraufhin zähneknirschend ein Best-Of-Album mit alten Songs aus der Island-Zeit auf den Markt. Ultravox blieb bis Mitte der 1980er Jahre erfolgreich und brachte noch mehrere Alben (1981 »Rage In Eden«, 1982 »Quartet«, 1984 »Lament«, 1986 »U-Vox«) und Hits (1981 »The Thin Wall«, »The Voice«; 1982 »Reap The Wild Wind«, »Hymn; 1984 »Dancing With Tears In My Eyes«; 1986 »Same Old Story«, »All Fall Down«) in die Charts.
Weitere zuverlässige Hit-Lieferanten für Chrysalis waren die US-Sängerin Pat Benatar (1980 »Hit Me With Your Best Shot«; 1981 »You Better Run«; 1982 »Shadows Of The Night«; 1983 »Love Is A Battlefield«, 1984 »We Belong«), die britische New-Romantics-Band Spandau Ballet (1980 »To Cut A Long Story Short«, 1982 »Chant No. 1«, 1983 »True«, »Gold«; 1984 »Only When You Leave«), Billy Idol (1983 »Eyes Without A Face«, »Flesh For Fantasy«; 1986 »Sweet Sixteen«, »Don't Need A Gun«) und Huey Lewis And The News (1982 »Do You Believe in Love«, 1985 »Heart And Soul«; »The Power Of Love«). In den 1980er Jahren hatte Chrysalis auch Paul Hardcastle (»19«) und Living In A Box (»Living In A Box«) unter Vertrag.
1984 erwarb Chrysalis die kleine 1976 gegründete Plattenfirma Ensign Records, die u. a. die Boomtown Rats (1979 »I Don't Like Mondays«, 1980 »Banana Republic«) unter Vertrag gehabt hatte. Ensign-Gründer Nigel Grainge, ein früherer Phonogram-Angestellter, blieb noch bis Mitte der 1990er Jahre Chef des Labels, das 1987 auch das erste Album von Sinéad O'Connor veröffentlichte (»The Lion And The Cobra«). Sein jüngerer Bruder Lucian Grainge wurde 2011 CEO der Universal Music Group.
1985 trennten sich die Wege von Wright und Ellis; Wright übernahm den Fünfzig-Prozent-Anteil seines Partners und brachte Chrysalis anschließend an die Londoner Börse. Sinéad O'Connor's zweites Album »I Do Not Want What I Haven't Got« bescherte Chrysalis 1990 mit »Nothing Compares 2 U« den letzten internationalen Hit. 1990/1991 verkaufte Wright Chrysalis Records an EMI Records, behielt aber den Musikverlag Chrysalis Music Publishing mit rund fünfzigtausend Songs (u. a. von David Bowie, Blondie, Michael Jackson, Quincy Jones, Paul Anka). EMI führte das Label bis 2005 weiter, dann wurde es in EMI Records integriert. In der ersten Hälfte der 2000er Jahre erschienen einige Robbie-Williams-Alben auf dem Chrysalis-Label.
Chris Wright wandte sich mit seiner Chrysalis Group nun anderen Geschäftsfeldern zu (Produktion von TV-Programmen, Radiosender, Buchverlage), die jedoch in den 2000er Jahren wieder verkauft wurden (2003 Chrysalis Television, 2005 Chrysalis Books, 2007 Chrysalis Radio). 2010 verkaufte Wright den Musikverlag Chrysalis Music Publishing an BMG Rights Management.
Nachdem die Universal Music Group (A&M, Decca, Fontana, Geffen, Island, MCA, Mercury, Polydor, Verve) 2012 die EMI Group (Capitol, Chrysalis, Electrola, EMI, Intercord, Harvest, Mute, Parlophone, Regal-Zonophone, Virgin) übernommen hatte, mussten mehrere Aktivitäten aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verkauft werden: Sony/ATV Music Publishing übernahm das Musikverlagsgeschäft (EMI Music Publishing, Famous Music UK, Virgin Music) und Warner Music die Labels Chrysalis Records, EMI Classics, Parlophone und Virgin Classics.
2016 verkaufte Warner Music Chrysalis Records und Teile des EMI-Katalogs (u. a. Debbie Harry, Generation X, Sinead O’Connor, Steve Harley & Cockney Rebel, Suzi Quatro, The Specials, The Waterboys, Ten Years After, Ultravox) an Blue Raincoat Music (London); hinter dieser erst 2014 gegründeten Firma stehen der frühere Chrysalis-Music-CEO Jeremy Lascelles, der Musikproduzent Robin Millar (Big Country, Black, Fine Young Cannibals, Randy Crawford, Sade), Chrysalis-Gründer Chris Wright und Robert Devereux, der von 1979 bis 1996 in verschiedenen Positionen bei Richard Bransons Virgin Group tätig gewesen war.
Text: Toralf Czartowski