Markenlexikon

Bristol

Ursprungsland: Großbritannien

Der Anwalt und Aktienhändler Sir George White (1854 – 1916) war zunächst an der Gründung und dem Aufbau mehrerer Straßenbahnbetreiber in Bristol und London beteiligt (Bristol Tramways Company, Bristol Tramways and Carriage Company, Imperial Tramways Company, London United Tramways). Die Bristol Tramways and Carriage Company baute ab 1908 auch eigene Omnibusse (Fahrgestelle), die das Straßenbild in vielen englischen Städten bis in die frühen 1980er Jahren prägten, u.a. den Doppeldeckerbus Lodekka (1949 – 1968). Dieser Bereich (Bristol Commercial Vehicles) wurde jedoch ab 1965 nach und nach an den Lastwagenhersteller Leyland bzw. später an den Staatskonzern British Leyland verkauft, der die Bus-Produktion unter der Marke Bristol 1983 beendete.

Nachdem White den Flugpionier Wilbur Wright 1909 in Frankreich bei einer Flugvorführung gesehen hatte, bekam er großes Interesse an der Fliegerei. 1910 gründete er zusammen mit seinem Bruder Samuel am Flugplatz Filton bei Bristol die British and Colonial Aeroplane Company (ab 1920 Bristol Aeroplane Company). Die ersten Bristol-Flugzeuge waren Nachbauten anderer Maschinen (Voisin Zodiak, Farman III). Als kurze Zeit später der Erste Weltkrieg ausbrach, baute Bristol einmotorige Doppeldecker (Bristol Scout, Bristol Fighter), die bei den Luftwaffen zahlreicher Länder zum Einsatz kamen. Während dieser Zeit war der rumänische Physiker und Aerodynamiker Henri Marie Coandă, der 1910 das erste (nichtflugfähige) Flugzeug mit Strahltriebwerk gebaut hatte, als technischer Direktor bei Bristol Aeroplane tätig.

1920 erwarb Bristol Aeroplane den insolventen Flugmotorenhersteller Cosmos Engineering, dessen Jupiter-Motor sich in den 1920er Jahren zu einem der erfolgreichsten britischen Flugmotoren entwickelte. Die Tochtergesellschaft Bristol Engine Company konstruierte in der Folgezeit eine ganze Reihe von Flugmotoren (Aquila, Centaurus, Cherub, Cumulus, Hercules, Hydra, Lucifer, Mercury, Neptune, Olympus, Orpheus, Orion, Pegasus, Phoenix, Perseus, Proteus, Taurus, Theseus, Titan), die in vielen verschiedenen Flugzeugmodellen unterschiedlicher Hersteller zum Einsatz kamen und darüber hinaus auch in Lizenz gefertigt wurden.

Während des Zweiten Weltkriegs entstanden bei Bristol Aeroplane in Filton u.a. die Kampfflugzeuge Bristol Blenheim (1937 – 1940), Bristol Beaufort (1939 – 1944) und Bristol Beaufighter (1940 – 1945), die als Bomber, Torpedobomber, Jagdflugzeug, Nachtjäger sowie Anti-Schiffs- und Tiefangriffsflugzeug eingesetzt wurden.

Nach Kriegsende begann Bristol Aeroplane mit der Entwicklung von Hubschraubern (1947 – 1959 Bristol Sycamore, 1958 – 1961 Bristol Belvedere), zivilen Verkehrsflugzeugen (1959 – 1953 Bristol Brabazon, 1952 – 1959 Bristol Britannia) und Automobilen, nachdem sich Bristol 1945 an dem Autohersteller AFN/Frazer-Nash beteiligt hatte.

AFN war bereits seit 1934 BMW-Generalimporteur für das Britische Empire und besaß zudem das Recht, einige BMW-Modelle in Großbritannien zu bauen und zu verkaufen (Frazer-Nash BMW). Aus den BMW-Modellen 326, 327 und 328 entstand 1946 der erste Bristol (Bristol 400), der in verschiedenen Modifikationen (401 – 403) bis 1955 in Produktion blieb und sogar die charakteristische BMW-Niere als Grill tragen durfte. Bereits 1947 trennten sich Bristol und Frazer-Nash wieder und Bristol Aeroplane führte die Produktion der 400er-Serie in Filton alleine weiter, während Frazer-Nash noch bis 1957 Renn- und Sportwagen baute.

Bristol
Bristol

1956 teilte sich die Bristol Aeroplane Company in zwei Unternehmen auf: Bristol Aircraft Company (Flugzeuge, Hubschrauber, Automobile) und Bristol Aero-Engines (Flugmotoren, Strahltriebwerke). Bristol Aero-Engines schloss sich 1959 mit Armstrong-Siddeley Motors, der Flugmotorenabteilung von Hawker-Siddeley, zusammen (Bristol-Siddeley Engines). Bristol-Siddeley erwarb 1961 noch De Havilland Engine und Blackburn Engines, ging dann aber 1966 selbst im Rolls-Royce-Konzern auf.

Ab Mitte der 1950er Jahre befassten sich Bristol Aircraft und die französische Firma Sud Aviation (Hersteller der Caravelle) mit dem Entwurf eines Überschallverkehrsflugzeugs. Da die Entwicklungskosten für ein einzelnes Unternehmen zu hoch waren, arbeiteteten beide Firmen bei diesem Projekt ab 1962 zusammen. Beteiligt waren auch die Triebwerkshersteller Rolls-Royce und Société Nationale d'Etude et de Construction de Moteurs d'Aviation (SNECMA), die die Strahltriebwerke mit Nachbrenner (Olympus 593 Mk 610) für die Concorde entwickelten und bauten. Dem prestigeträchtigen Ergebnis gab man den Namen »Concorde« (frz. Eintracht). Der französische Prototyp startete am 2. März 1969 von Toulouse aus zum Jungfernflug – zwei Monate nach dem das sowjetische Konkurrenzmodell Tupolev Tu-144 erstmals geflogen war (31. Dezember 1968). Am 9. April 1969 folgte der britische Prototyp. Gebaut wurde die Concorde in Toulouse und Filton.

In den späten 1950er Jahren übte die britische Regierung großen Druck auf die heimischen Flugzeughersteller aus, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen, wenn sie weiter staatliche Aufträge bekommen wollten; ähnlich wie es auch in Frankreich praktiziert wurde. So entstanden um 1959/1960 zwei Gruppen: Hawker-Siddeley (Avro, Blackburn, De Havilland, Folland, Hawker) und die British Aircraft Corporation (BAC; Bristol, English Electric, Vickers-Armstrongs). Die Bristol-Hubschraubersparte ging 1960 in den Besitz von Westland Helicopters über. BAC und Hawker-Siddeley wurden 1976 verstaatlicht und 1977 mit Scottish Aviation zum Luft- und Raumfahrtkonzern British Aerospace (BAe; seit 1999 BAE Systems) zusammengeschlossen.

Nach der Gründung der British Aircraft Corporation wurde die Automobil-Sparte von George White, einem Nachkommen des Firmengründers, und dem Bristol-Autohändler und Rennfahrer Thomas Anthony Donald (Tony) Crook (1920 – 2014) weitergeführt. Das neue Unternehmen firmierte als Bristol Cars und beschäftigte sich weiterhin mit dem Bau von handgefertigten Kleinserien-Fahrzeugen (Sportcoupés, Cabrios, Saloons), denen man ihre Exklusivität nicht auf den ersten Blick ansah (Slogan: »Nicely understated but never underrated«). Teilweise trugen die Bristol-Fahrzeuge die Namen früherer Bristol-Flugzeuge (Beaufighter, Brigant, Britannia, Blenheim, Fighter). Bristol Cars befand sich, wie auch viele andere Kleinserienhersteller, häufig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zu mehrmaligen Eigentümerwechseln führten. Neben dem Bau von Neuwagen beschäftigt sich die Firma auch mit der Restaurierung alter Bristol-Fahrzeuge und dem Autohandel.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain