Markenlexikon
Der Verleger Hinrich Springer (1880 – 1949), Besitzer des Verlages Hammerich & Lesser, und sein Sohn Axel Cäsar Springer (1912 – 1985) erhielten aufgrund ihrer politischen Unbelastetheit während des Zweiten Weltkriegs und gewisser Verlagserfahrungen (Axel Springer war ab 1934 stellvertretender Chefredakteur der Altonaer Nachrichten, die 1941 durch eine Verfügung der Nationalsozialisten eingestellt werden musste) zwischen 1945 und 1948 von den alliierten Besatzungsbehörden mehrere Lizenzen zur Weiterführung des Hammerich & Lesser-Verlages und die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften (Constanze, Hamburger Abendblatt, Hörzu, Nordwestdeutsche Hefte). 1947 wurde in Hamburg der Axel Springer Verlag gegründet.
Im Juli 1952 kam mit dem vierseitigen Boulevardblatt Bild das Flagschiff des Verlages auf den Markt (Startauflage: 455.000 Exemplare). Mit dieser Tageszeitung importierte Springer jenes Zeitungskonzept nach Deutschland, das es in Großbritannien (Alfred Harmsworths Daily Mail), Frankreich und den USA (Joseph Pulitzers New York World, William Randolph Hearsts New York Journal und San Francisco Examiner) schon lange gab und dort als »yellow press« bekannt ist (nach der Figur »Yellow Kid« aus der Comic-Serie »The Katzenjammer Kids«, die wöchentlich in Joseph Pulitzers Sunday World erschien). Als Erfinder gilt u. a. der britische Verleger Alfred Harmsworth, der seine Daily Mail einmal so beschrieb: »Eine Zeitung für Leute, die gerade lesen, aber nicht denken können«. In Deutschland setzte sich für »yellow press« der Begriff Boulevard-Zeitung durch (weil diese Blätter ausschließlich auf der Straße und am Kiosk verkauft werden).
Springer (»Ich bin mir seit langem darüber im klaren, was der deutsche Leser auf keinen Fall will, nämlich nachdenken«) legte seine Bild-Zeitung ähnlich wie die englischen und amerikanischen Vorbilder an (viele Bilder; große Überschriften; mosaikhaftes Layout; kurze Texte; subjektive und oberflächliche Berichterstattung; auf Klischees vereinfachter Schreibstil, der bei den Lesern Emotionen erzeugen soll; Gebrauch von Superlativen; wenig Politik, dafür viel Sex, Verbrechen, Klatsch, Skandale, Sport, Unterhaltung und Verbrauchertipps), allerdings nicht in dem dort üblichen halbgroßen Tabloid-Format. Die Bild-Zeitung richtete sich an ein Massenpublikum und wurde erwartungsgemäß schnell zur auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands und bald auch Europas (ab 1958).
1953 erwarb Springer den 1946 von den Briten gegründeten Hamburger Welt-Verlag (Die Welt, Welt am Sonntag, Das neue Blatt) und 1959 den Berliner Ullstein Verlag (Berliner Morgenpost, B.Z.). 1966/1967 errichtete der Verlag in Berlin-Kreuzberg, direkt an der Berliner Mauer, das Axel-Springer-Hochhaus, wohin der Hauptsitz des Unternehmens 1967 verlegt wurde. 1970 kam es zum Zusammenschluss der Verlage Axel Springer, Ullstein und Hammerich & Lesser.
Die Medienmacht Springers (er besaß zu dieser Zeit 39 Prozent aller deutscher Zeitungen und 18 Prozent aller Zeitschriften) und die teilweise rüde Vorgehensweise der sensationshungrigen Bild-Redakteure (bewusste Falschdarstellungen, Missachtung von Persönlichkeitsrechten, vorschnelle Verurteilung von Verdächtigen, Erpressung, Nötigung, Einbruch, Diebstahl) sorgte in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren für teilweise revolutionäre Zustände auf Deutschlands Straßen (Enteignet Springer-Sprechchöre, Feuer- und Bombenanschläge auf das Springer-Verlagsgebäude in Berlin) – wobei die radikalen Springer-Gegner vor allem aus dem linken politischen Lager kamen.
Axel Springer war mit dem Vorgehen der Bild-Redakteure nach eigener Aussage nicht immer ganz glücklich. »Ich leide wie ein Hund darunter, dass manches in meinen Blättern steht, womit ich überhaupt nicht einverstanden bin. Und wie oft leide ich, wenn ich morgens die Bild-Zeitung lese.« sagte er einem Zeit-Journalisten, der ihn zu Günter Wallraffs Enthüllungsbuch »Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war« interviewte (Wallraff arbeitete 1977 dreieinhalb Monate lang inkognito als Lokalreporter für die Bild in Hannover). Doch Springer brauchte die Gelddruckmaschine Bild, ohne die sein Verlag langfristig kaum überlebensfähig gewesen wäre. Andere Springer-Zeitungen wie die Welt erwirtschafteten jahrzehntelang nur Verluste.
Die höchste Auflage hatte die Bild-Zeitung, die zeitweise in rund vierzig Ländern verkauft wurde, 1982 mit über fünf Millionen Exemplaren. Das Label Bild wurde später auch auf andere Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsender übertragen: u. a. Bild am Sonntag (1956), Bild der Frau (1983), Bildwoche (1983), Auto Bild (1986), Sport Bild (1988), Computer Bild (1998), Audio Video Foto Bild (2003) und Bild-TV (2022 – 2023).
2008 wurden die Redaktionen der Bild und der Bild am Sonntag von Hamburg zum Springer-Hauptsitz nach Berlin verlegt. Von 1916 bis 1990 entstand neben dem alten Axel-Springer-Haus ein neues Verlagsgebäude.
Text: Toralf Czartowski