Markenlexikon

Bertone

Ursprungsland: Italien

Giovanni Bertone (1884 – 1972) arbeitete nach seiner Ausbildung als Stellmacher einige Jahre in der Waggon- und späteren Automobilfabrik Diatto in Turin. 1912 gründete er in Turin eine Stellmacherei, die zunächst hauptsächlich Kutschen reparierte. Daneben baute er auch eigene Kutschen. Aufgrund seiner Freundschaft zu Vincenzo Lancia, der für Fiat Autorennen fuhr und 1906 eine eigene Firma gründete, kam er in Kontakt mit der italienischen Automobilindustrie. 1921 fertigte er für die Firma Società Ligure Piemontese Automobili (SPA) seine erste Autokarosserie. SPA gehörte Matteo Ceirano, in dessen früherer Firma Lancia Buchhalter gewesen war. Lancia ließ bei Bertone fast alle Karosserien für seine Sondereditionen entwerfen und fertigen. Auch von Fiat, schon damals der größte italienische Autohersteller, bekam die Carozzeria Bertone immer wieder Aufträge.

1934 trat Giovanni Bertones Sohn Giuseppe (Nuccio) Bertone (1914 – 1997) in die Firma ein. Für den stromlinienförmigen Fiat 6C 1500 (1935) bekam er 1937 den Designpreis des Turiner Automobilsalons. 1950 übernahm Nuccio Bertone die Leitung des Unternehmens. Anfang der 1950er Jahre entwickelten Mario Felice Boano von der Carrozzeria Ghia und Franco Scaglione, von 1952 bis 1960 Bertones Chefdesigner, die Coupé-Variante des Alfa-Romeo Giulietta (Giulietta Sprint). Neben seiner Arbeit für italienische Autohersteller wie Abarth, Alfa-Romeo, Fiat, Lancia, Maserati und Siata, entwarf Scaglione auch Karosserien für Aston-Martin, Bristol Cars, Jaguar und NSU (NSU Sport Prinz). 1958 nahm Bertone eine neue Fabrik in Grugliasco bei Turin in Betrieb. Dort entstanden in der Folgezeit zahlreiche Modelle anderer Hersteller in Kleinserie.

1960 wurde Giorgetto Giugiaro, der zuvor bei Fiat gearbeitet hatte, Chefdesigner von Bertone. Er entwarf u.a. die Modelle Alfa-Romeo 2600 Sprint, Alfa-Romeo Canguro, Alfa-Romeo Giulia GT, Aston-Martin DB4 GT Jet, Maserati 5000 GT, Simca 1000 Coupé, BMW 3200 CS, Iso Rivolta GT 300/340, Iso Grifo und Fiat 850 Spider. 1965 wechselte Giugiaro zu Ghia und zwei Jahre später gründete er sein eigenes Designbüro, aus dem Italdesign Giugiaro hervorging.

1965 wurde Marcello Gandini neuer Bertone-Chefdesigner. Er entwarf in seiner Zeit bei Bertone u.a. mehrere Sportwagen für Lamborghini (Bravo, Countach, Espada, Jarama, Miura, Urraco), den Ferrari Dino 308 GT 4, den Fiat X1/9, den Lancia Stratos, den Maserati Khamsin, den Fiat 132, die erste Generation der BMW 5er-Serie, den Citroën BX, den Renault 5 Turbo, das Fiat Ritmo Cabrio und das Showcar Alfa Romeo Carabo/Bertone Carabo, das mit seiner ausgeprägten Keilform einen neuen Trend im Automobildesign setzte. 1980 verließ Gandini Bertone und gründete sein eigenes Designstudio. Nachfolger wurde Marc Deschamps, der 1985 für Škoda den Favorit entwarf. Von den vier Ausführungen (Schrägheck, Limousine, Kombi und Coupé) ging jedoch nur die Schrägheck-Variante 1987 in Produktion.

Bertone
Bertone

Bertone fertigte in seinem Werk in Grugliasco bei Turin auch zahlreiche Fahrzeuge in Kleinserie für andere Hersteller, u.a. den Alfa-Romeo Giulietta Sprint, den Fiat X1/9, den Fiat 850 Spider, den Lancia Stratos, den Volvo 780 und die Cabrios der Opel-Baureihen Kadett E, Astra F und Astra F. Für die meisten dieser Autos stammte das Design von Bertone. Es gab aber auch Modelle, die nur im Auftrag produziert wurden (BMW C1 Motorroller, Fiat Punto Cabrio, Mini Cooper GP, Volvo 262C). Unter eigenen Namen vermarktete Bertone den Fiat X1/9 (Bertone X1/9), das Fiat Ritmo Cabrio (Bertone Canriolet) und der Geländewagen Daihatsu Rocky/Feroza (Bertone Freeclimber).

Bis in die 1980er Jahre hatten sich die Autokonzerne hauptsächlich mit der Technik, der Produktion und der Vermarktung beschäftigt, weniger mit dem Design. Zwar entstanden die Karosserien vieler Automodelle auch schon früher direkt bei den Herstellern, aber bei Sportwagen, Coupés, Cabrios, Konzeptstudien, Showcars oder sonstigen Sondereditionen nahm man gerne die Kreativität unabhängiger Designer in Anspruch. Als die Hersteller in den 1990er Jahren erkannten, welch wichtigten Stellenwert das Design beim Erfolg oder Nichterfolg eines Automodells hat, übernahmen sie diese Aufgabe nach und nach selbst. Auch die Sportwagenhersteller machten davon keine Ausnahme, denn sie gehörten inzwischen alle zu den großen Konzernen. Bekamen früher einzelne Modelle oder Submodelle ganz individuelle Karosserien, war nun bei einer Automarke ein modellübergreifendes Design gefragt. Das konnten die unabhängigen Designer jedoch nicht liefern. Diese Aufgabe war aufgrund der Größe der Autokonzerne und der Modellvielfalt zu komplex. Darüber hinaus gab es noch ein weiteres Problem: die Handschrift eines unabhängigen Designers war auch bei den Modellen anderer Hersteller zu erkennen, sodass es zu gewissen Ähnlichkeiten bei den Karosserien kommen konnte, wenn sie gleichzeitig an Modellen für mehrere Hersteller arbeiteten. Das ist auch früher schon vorgekommen, war nun aber absolut unerwünscht.

Für selbstständige Autodesignfirmen wie Bertone fielen allmählich die Aufträge weg. Andere wie Ghia oder Vignale gehörten schon seit 1970 zu Ford. Italdesign Giugiaro wurde 2010 von VW/Audi übernommen, Pininfarina 2015 von der indischen Mahindra Group. 2007 musste die Carozzeria Bertone, die seit dem Tod von Nuccio Bertone 1997 von seiner Witwe Lilly Bertone geleitet wurde, die eigene Produktion beenden. Das Werk in Grugliasco verkaufte Bertone 2009 an Fiat. 2011 versilberte die Firma einen Teil ihrer Sammlung von Konzeptfahrzeugen, die über die Jahre bei Bertone entwickelt und gebaut worden waren. Doch die finanziellen Probleme ließen sich dadurch nicht nachhaltig beheben. 2014 musste das Unternehmen schließlich Konkurs anmelden. Lediglich das Designstudio Bertone Design, das der Architekt Aldo Cingolani 2013 gegründet hatte, um die Marke Bertone auch in anderen Bereichen wie Architektur, Industriedesign und Mode zu etablieren, existierte zunächst weiter.

Die Marke Bertone erwarb 2016 das französische Maschinenbau-Unternehmen Akka Technologies. Seit 2019 gehört sie der britischen Firma Flymove Holding, einem Hersteller von Elektroautos. Designer dieser Elektroautos ist Carlos Arroyo Turon, der schon von 2011 bis 2014 bei Bertone gearbeitet hatte.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain