Markenlexikon

Avro

Ursprungsland: Großbritannien

Edwin Alliott Verdon Roe (1877 – 1958) absolvierte eine Ausbildung in einer Lokomotivfabrik und arbeitete anschließend als Ingenieur auf einem Dampfschiff der British and South African Royal Mail Company. Als er seine Karriere bei der Handelsmarine beendet hatte, begann er sich mit dem Bau von Flugzeugen zu beschäftigen. Die Idee dazu hatte er auf seiner letzten Seereise, als er einen Albatros beobachte. Das erste Flugzeug, das er baute, war dann auch einem Albatros nachempfunden. Es flog allerdings nicht, was Roe nicht davon abhielt, in seiner Freizeit zahlreiche weitere Modellflugzeuge zu bauen, mit denen er mehrere Preise gewann, die verschiedene Tageszeitungen für fliegerische Leistungen verliehen. Hauptberuflich arbeitete er zeitweise als Techniker bei einer Autofirma.

1907 begann A.V. Roe mit der Entwicklung eines richtigen Flugzeugs. Die Roe I, die erstmals im Juni 1908 flog, war ein aus Holz gefertigter Doppeldecker mit einem 24-PS-Motor. Im September 1908 gründete er mit dem Motorenkonstrukteur John Alfred Prestwich (J.A.P.-Motoren) die JAP Avroplane Company, die jedoch schon bald wieder aufgelöst wurde, da die beiden Gründer zu unterschiedliche Vorstellungen hatten. Schließlich lieh er sich das notwendige Kapital für eine eigene Firmengründung von seinem Vater und seinem Bruder Humphrey Verdon Roe (1878 – 1949), dem der Hosenträgerhersteller Bulls-Eye gehörte. 1909 gründeten die Roe-Brüder in Manchester die Firma A.V. Roe and Company.

Die ersten Flugzeuge des neuen Unternehmens waren einmotorige und einsitzige Dreidecker aus Holz, bespannt mit Papier oder Stoff (Triplane). Ab 1911 baute Roe nur noch Ein- und Doppeldecker wie die Roe Type D, die testweise auch mit Schwimmern ausgestattet wurde und damit als erstes britisches Wasserflugzeug gilt. Ab 1913 verwendete man das Kürzel Avro als Markenbezeichnung. Während des Ersten Weltkriegs produzierte A.V. Roe die Avro 504 (1913 – 1932), ein Doppeldecker-Schulflugzeug, von dem rund 9000 Exemplare gebaut wurden. Die Avro 504 blieb bis in die 1930er Jahre im Einsatz.

Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wesentlich weniger Flugzeuge benötigt wurden, kamen die Flugzeughersteller zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. In dieser Zeit bot die Avro-Tochtergesellschaft Avro Transport Company Vergnügungsflüge in die Seebäder der englischen Südküste an, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Außerdem brachte Avro in den 1920er Jahre einige autoähnliche Gefährte heraus und betätigte sich als Zulieferer für das Ford-Werk in Trafford Park sowie als Auftragsfertiger für andere Fahrzeughersteller.

1920 übernahm schließlich Crossley Motors aus Manchester die Mehrheit der Avro-Aktien, um in den Avro-Anlagen Fahrzeuge herstellen zu können. 1924 errichtete Avro eine neue Produktionsstätte bei Woodford, nordwestlich von Manchester (Woodford Aerodrome). Auf dem Gelände wurde auch ein Flugfeld für die Testflüge angelegt. Zuvor hatte Avro das Trafford Park Aerodrome und das Alexandra Park Aerodrome in Manchester für die Testflüge genutzt.

1928 verkaufte Crossley Avro an Armstrong-Siddeley. Zur gleichen Zeit verließ Alliott Verdon Roe seine Firma. Ein Jahr später wurde er wegen der Verdienste um die britische Luftfahrt in den Ritterstand erhoben. 1933 kaufte er sich in die Flugzeugfirma S.E. Saunders Co. ein, die anschließend in Saunders-Roe umbenannt wurde. Aus dem Zusammenschluss von Hawker Aircraft und Armstrong-Siddeley entstand 1935 Hawker-Siddeley Aircraft.

Avro A.V.Roe Aircraft
Avro A.V.Roe Aircraft

Während der beiden Weltkriege gehörte Hawker-Siddeley neben Vickers-Armstrongs zu den Hauptausrüstern der britischen Streitkräfte. Hawker-Siddeley produzierte u.a. die Bomber Avro 679 Manchester (1939 – 1941) und Avro 683 Lancaster (1941 – 1946), außerdem das Jagdflugzeug Hawker Hurricane (1935 – 1944), das neben der Supermarine Spitfire von Vickers zu den stärksten Gegnern der deutschen Maschinen gehörte.

In der Nachkriegszeit entwickelte Hawker-Siddeley auf Basis des Bombers Avro Lincoln (1944 – 1952), der wiederum auf die Lancaster zurückging, das viermotorige Langstreckenverkehrsflugzeug Avro Tudor (1945 – 1949), das sich jedoch gegen die amerikanischen DC-Modelle von Douglas Aircraft wegen der zu geringen Reichweite und der zu niedrigen Passagierkapazität nicht durchsetzen konnte. Mit dem vierstrahligen taktischen Bomber Avro 698 Vulcan (1952 – 1965) betrat Hawker-Siddeley vollkommen neues aerodynamisches Terrain. Das Flugzeug hatte große Deltatragflächen mit integrierten Strahltriebwerken, aber kein separates Höhenleitwerk. Die Avro Vulcan war einer von drei britischen Bombern, die für den Abwurf von Atombomben vorgesehen waren (Avro Vulcan, Handley Page Victor, Vickers Valiant). Zwei Vulcan-Bomber dienten in den 1960er Jahren zur Erprobung der Rolls-Royce/SNECMA-Olympus-Triebwerke für das Überschallverkehrsflugzeug Concorde.

Nach der Übernahme der Firma Victory Aircraft (Malton/Ontario) gründete Hawker-Siddeley 1945 in Kanada die Tochtergesellschaft Avro Canada, die allerdings nur bis 1962 bestand. Avro Canada baute vor allem den allwettertauglichen Abfangjäger CF-100 Canuck (1950 – 1962), der bei der kanadischen Luftwaffe aufgrund seiner Langlebigkeit bis 1981 als Schulflugzeug und Aufklärer in Dienst blieb.

1963 ersetzte Hawker-Siddeley (Avro, Blackburn, De Havilland, Folland, Hawker) die früheren Herstellernamen durch das Kürzel HS.

Nachdem die weltweite Ölkrise in den frühen 1970er Jahren den großen Airlines bei der Flugzeugbeschaffung Zurückhaltung auferlegte und selbst die prestigeträchtige Concorde kaum Käufer anlockte, kamen die europäischen Hersteller zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. 1976 nahm sich die britische Regierung des Problems im eigenen Lande an und verstaatlichte Hawker-Siddeley und die British Aircraft Corporation (BAC). 1977 schlossen sich Hawker-Siddeley Aviation (Flugzeugbau), Hawker-Siddeley Dynamics (Lenkwaffen, Raumfahrtsparte), die British Aircraft Corporation und Scottish Aviation zum Luft- und Raumfahrtkonzern British Aerospace (BAe; seit 1999 BAE Systems) zusammen.

1993 etablierte British Aerospace die Tochtergesellschaft Avro International Aerospace, die die Produktion und Vermarktung des Regionalverkehrsflugzeuges BAe 146 übernahm, das daraufhin in Avro RJ70 (BAe 146-100), Avro RJ85 (BAe 146-200) und Avro RJ100 (BAe 146-300) umbenannt wurde. Die BAe 146 war bereits seit 1973 von Hawker-Siddeley unter der Bezeichnung H.S.146 entwickelt worden. Der Erststart fand jedoch aufgrund der Ölkrise von 1973/1974 erst 1981 statt. Die BAe 146 war bis zur Gründung von Avro International im ehemaligen De-Havilland-Werk Hatfield/Herts gebaut worden, danach wurde die Produktion in das frühere Avco-Werk nach Woodford/Cheshire bei Manchester verlegt. 1996 brachte British Aerospace die Avro-Flugzeugfamilie in das Jointventure Aero International (Regional) ein, an dem auch Aérospatiale aus Frankreich und Alenia aus Italien beteiligt waren. Bereits 1998 wurde AI(R) jedoch wieder aufgelöst. 2002 stellte BAE Systems die Produktion der Regionalverkehrsflugzeuge ein. Insgesamt sind von der Avro RJ 394 Exemplare gebaut worden. Die drei Protoytpen der geplanten Avro RJX waren die letzten in Großbritannien gefertigten Verkehrsflugzeuge.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain