Markenlexikon
Ahmet Ertegun (1923 – 2006), der Sohn des ehemaligen türkischen Botschafters in der USA, war eine der schillerndsten Persönlichkeiten des amerikanischen Musik-Business. In Konstantinopel (Istanbul) geboren, lebte er zunächst in der Schweiz, in Frankreich und in Großbritannien. Als er zwölf Jahre alt war, ging seine Familie in die USA. Hier kam er das erste Mal mit Jazz- und Blues-Musik in Berührung, die ihn sein Leben lang nicht mehr losließ. Nach Beendigung seines Philosophie-Studiums gründete er 1947 gemeinsam mit dem A&R-Manager Herb Abramson (1916 – 1999) die Atlantic Recording Corporation. Das Gründungskapital bestand aus tausend Dollar, die sie sich von Ahmets Zahnarzt Dr. Vahdi Sabit geliehen hatten. Das Zwei-Mann-Unternehmen residierte in einem Einraum-Büro (inkl. Studio) und Ahmet betätigte sich nicht nur als Firmenchef und Buchhalter, sondern auch als Produzent und Songwriter (unter dem Pseudonym Nugetre).
Die erste Atlantic-Platte kam Anfang 1948 auf den Markt. 1953 wurde Jerry Wexler (1917 – 2008), ein ehemaliger Billboard-Reporter, Miteigentümer und Hausproduzent. 1956 stieß auch Ahmets Bruder Nesuhi Ertegun (1917 – 1989) zu Atlantic – er übernahm die Jazz-Abteilung des Hauses (John Coltrane, Charles Mingus, Ornette Coleman, The Modern Jazz Quartet, Herbie Mann). Die ersten Stars die Atlantic hervorbrachte waren Ruth Brown, LaVern Baker, Ray Charles, Ivory Joe Hunter, Joe Turner, The Clovers und The Drifters – allesamt hochkarätige Rhythm & Blues- und Soul-Musiker, sodass Atlantic zum führende R&B-Label der 1950er Jahre avancierte.
In den 1960er Jahren wandte man sich mehr dem Soul zu (Ray Charles, Solomon Burke, Aretha Franklin, Wilson Pickett, Otis Redding, Percy Sledge, Booker T. & The MG's), und als aus dem recht nebulösen Terminus Rhythm & Blues ganz einfach Rock-Musik wurde, war Atlantic mit Bands wie AC/DC, Led Zeppelin oder den Rolling Stones wieder zur Stelle.
1955 etablierte Atlantic die Sublabels Atco Records und EastWest Records. EastWest wurde bereits 1959 wieder aufgegeben, Atco spezialisierte sich auf Pop- und Rockmusik (u. a. Ben E. King, Bobby Darin, Buffalo Springfield, Iron Butterfly, Sonny & Cher, The Coasters, Vanilla Fudge) und übernahm den Vertrieb von Labels wie Hansa Musik, Island Records, Rolling Stones Records, RSO Records und Volt Records.
1967 verkauften die Ertegun-Brüder und Jerry Wexler ihre Anteile an der Atlantic Recording Corporation für siebzehn Millionen Dollar an den Film- und Musikkonzern Warner Bros.-Seven Arts. Ahmet Ertegun blieb jedoch Chef des Unternehmens und Nesuhi Ertegun wurde 1971 Chef der neuen Warner-Vertriebsgesellschaft WEA (Warner-Elektra-Atlantic). Im gleichen Jahr gründeten Ahmet und Nesuhi Ertegun gemeinsam mit Steve Ross, dem Chef von Warner Bros., den New Yorker Fußballclub Cosmos, wo später Stars wie Pelé oder Franz Beckenbauer spielten.
In den 1970er und 1980er Jahren brachte Atlantic neben eigenen Stars wie Roberta Flack, Phil Collins, Foreigner, Laura Branigan oder Crosby, Stills, Nash & Young auch eine ganze Reihe von Importplatten auf den US-Markt, u. a. von der schwedische Popgruppe Abba, der französischen Schlagersängerin Mireille Mathieu oder der deutschen Synthi-Popband Alphaville. 1987 wurde Ahmet Ertegun für seine Verdienste um die Rockmusik in die »Rock and Roll Hall of Fame« aufgenommen, sein Bruder folgte 1991.
2004, ein Jahr nachdem der Medienkonzern Time-Warner die Musiksparte Warner Music an eine Investorengruppe verkauft hatte, entstand die Atlantic Records Group (Asylum, Atlantic, Bad Boy, Elektra, Lava, Roadrunner), von der 2018 die Elektra Music Group abgespalten wurde.
Text: Toralf Czartowski