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Tupolev (Tupolew)

Ursprungsland: Russland

Andrej Nikolajewitsch Tupolew (1888 – 1972; engl. Andrei Nikolayevich Tupolev) gründete nach seinem Studium an der Technischen Hochschule in Moskau und einer kurzen Tätigkeit als Leiter der Abteilung Wasserflugzeuge in der Flugzeugfabrik Dux gemeinsam mit seinem Lehrer Nikolai Jegorowitsch Shukowski im Oktober 1918 das »Zentrale Aero-Hydrodynamische Institut« (ZAGI; russ. Tsentralni Aero-Gidrodinamitscheski Institut), das in den 1920er Jahren den größten Windkanal der Welt besaß. 1921 begann das ZAGI unter Tupolevs Leitung das erste Versuchsflugzeug zu entwickeln, die ANT-1. 1925 sorgte er mit dem zweimotorigen Ganzmetallbomber ANT-4 für Aufsehen und handelte sich prompt eine (vergebliche) Klage der deutschen Firma Junkers wegen Patentrechtsverletzung ein. Tupolew spezialisierte sich bald auf leichte, mittlere und schwere Bomber, aus denen teilweise auch Transport- und Passagierflugzeuge abgeleitet wurden, u.a. das Riesenflugzeug ANT-20 Maxim Gorgi.

1936 gründete Tupolew sein eigenes Konstruktionsbüro, aber bereits 1937 wurde er während der stalinistischen Säuberungen verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt; man warf ihm vor, Konstruktionspläne an die Deutschen geliefert zu haben. Zusammen mit anderen inhaftierten Ingenieuren musste er daraufhin im Zentralen Entwicklungsbüro 29 des KGB an einem Bomber arbeiten, aus dem 1941 die Tu-2 hervorging.

Nachdem die Deutschen 1941 in die Sowjetunion einmarschiert waren, wurde Tupolew wieder freigelassen; im Dezember 1943 soll sich Stalin persönlich bei ihm entschuldigt haben. 1943 konnte er sein Konstruktionsbüro OKB 156 (Opitno Konstrúktorskoje Bjuro = Experimental-Konstruktionsbüro) in Moskau wieder übernehmen.

Sein erstes Nachkriegsflugzeug war eine Kopie des schweren Fernbombers Boeing B-29 Superfortress, von denen einige 1944 bei Luftkämpfen über Japan in Sibirien notgelandet waren. Unter der Typkennung Tu-4 wurden von 1947 bis 1952 rund vierhundert Maschinen gebaut. Als Nachfolger konstruierte Tupolew die zweistrahlige Tu-16 (1952 – 1963), einen mittelschweren Bomber, von dem auch das erste strahlgetriebene Passagierflugzeug der Sowjetunion, die Tu-104 (1955 – 1960), abgeleitet wurde.

Schwere Langstreckenbomber (1952 – 1993 Tu-95/142, 1958 – 1969 Tu-22, seit 1981 Tu-160) und zivile Verkehrsflugzeuge (1957 – 1964 Tu-114/Tu-126, 1960 – 1968 Tu-124, 1962 – 1989 Tu-134, 1965 – 1981 Tu-144, 1968 – 2013 Tu-154) blieben auch nach dem Krieg das Hauptbetätigungsfeld von Tupolew. Eine Ausnahme war die Tu-128 (1959 – 1970), damals der größte Langstreckenabfangjäger der Welt.

Das dreistrahlige Mittel- und Langstreckenflugzeug Tu-154 brachte es auf die längste Produktionszeit (1968 – 2013) und höchste Stückzahl (1026), gefolgt von dem zweistrahligen Kurzstreckenverkehrsflugzeug Tu-134 (854 Exemplare). Die Tu-134 und Tu 154 gehörten neben den Ilyushin-Modellen Il-18 und Il-62 zu den meistgeflogenen Verkehrsflugzeugen der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot sowie der Fluggesellschaften der ehemaligen Ostblockstaaten.

Tupolev
Tupolev

Auf Anweisung der sowjetischen Regierung begann 1963 unter der Leitung von Tupolews Sohn Alexej Andrejewitsch (1925 – 2001), der bereits seit dem Zweiten Weltkrieg mit seinem Vater zusammengearbeitet hatte, die Entwicklung des Überschallverkehrsflugzeugs Tu-144. Vorbild war die Concorde, deren grundlegende Entwicklung bereits Mitte der 1950er Jahre in Großbritannien (Bristol Aeroplane) und Frankreich (Sud Aviation) begonnen hatte.

Äußerlich war die Tu-144 der Concorde sehr ähnlich, was hauptsächlich an den fast identischen Anforderungen an die beiden Flugzeuge lag (rund einhundert Passagiere mit doppelter Schallgeschwindigkeit zu befördern). Das Tragwerk und der Antrieb unterschieden sich jedoch grundlegend voneinander. Zudem war die Tu-144 länger und breiter als die Concorde. Die Konstrukteure der beiden Flugzeuge standen in engem Kontakt miteinander und besuchten sich auch mehrmals gegenseitig in ihren Konstrukteursbüros. An der »Informationsbeschaffung« beteiligten sich auch Geheimdienste, doch ging es dabei nicht so sehr um das äußere Erscheinungsbild oder die Aerodynamik, die durch öffentliche Präsentationen der Modelle ohnehin bereits bekannt war, sondern eher um Dinge wie zum Beispiel die genaue Zusammensetzungen von Aluminiumlegierungen. Beide Seiten versuchten so viele Informationen wie möglich über das jeweils andere Flugzeug zu bekommen.

Schließlich gelang es dem OKB Tupolew die Tu-144 am 31. Dezember 1968 wenige Monate vor der Concorde (März 1969) erstmals in die Luft zu bekommen. Im Mai 1970 erreichte sie als erstes Verkehrsflugzeug der Welt doppelte Schallgeschwindigkeit. Bald stellte sich jedoch heraus, dass die Tu-144 ein noch vollkommen unausgereiftes Flugzeug war. Im Juni 1973 wurden die Flüge nach einem bis heute nicht ganz aufgeklärten Absturz während des Aero-Salons in Paris-Le Bourget zunächst eingestellt. Ende 1975 nahm die inzwischen stark umkonstruierte Tu-144 (Triebwerke, Triebwerksanordnung, Fahrwerke, Tragwerk) den Linienverkehr zwischen Moskau und Alma-Ata (Almaty) auf, zunächst nur mit Fracht, ab 1977 auch mit Passagieren. Im Mai 1978 wurden die Flüge nach einer Notlandung, die ein Todesoper forderte, endgültig eingestellt. Insgesamt entstanden zwischen 1965 und 1981 im Flugzeugwerk Woronesch sechzehn Maschinen dieses Typs. Die letzten beiden fertiggestellten Tu-144 wurden nur noch zu Test- und Forschungszwecken verwendet (u.a. für das Buran-Programm und zwischen 1995 und 1998 als fliegendes Labor für die NASA). Den letzten Flug absolvierte die Tu-144 im April 1999. Die noch existierenden Maschinen stehen heute in Museen (Monino, Moskau, Schukowski/Ramenskoje, Samara, Sinsheim, Uljanowsk) und in verschiedenen russischen Flugzeugwerken (Kasan, Woronesch).

Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 ging es mit der russischen Flugzeugindustrie schnell bergab, zumindest im zivilen Bereich. Die inzwischen hoffnungslos überalterten Flugzeuge hatten auf westlichen Märkten keine Chancen. Auch das neue zweistrahlige Mittelstreckenflugzeug Tu-204/214 (Erstflug 1989) konnte aufgrund seines hohen Gewichts und der problematischen Ersatzteilversorgung mit den Modellen von Airbus, Boeing und McDonnell-Douglas nicht mithalten. Selbst russische Fluggesellschaften kauften lieber westliche Modelle. Die zweistrahlige Tu-334 (1999 – 2009) kam nicht über zwei produzierte Maschinen hinaus. Das geplante Transportflugzeug Tu-330 und das Regionalverkehrsflugzeug Tu-324/Tu-414 wurden bisher nicht umgesetzt.

Tupolew fertigt noch immer den Schwenkflügel-Langstreckenbomer Tu-160 und modernsiert ältere Flugzeuge dieses Typs. Seit den frühen 2010er Jahren befindet sich der strategische Nurflügel-Langstreckenbomber Tupolev PAK-DA (Perspektiwny Awiazionny Kompleks Dalnei Awiazii; Perspektivischer Flugkomplex der Fernfliegerkräfte) in der Entwicklung.

2006 verfügte der russische Präsident Wladimir Putin per Dekret den Zusammenschluss des größten Teils der russischen Luftfahrtindustrie (Beriev, Ilyushin, Irkut, MiG, Sukhoi, Tupolev, Yakovlev) in der staatlichen Holdinggesellschaft Obyedinyonnaya Aviasroitelnaya Korporatsiya (OAK; engl. UAC United Aircraft Corporation).

Der Tupolev-Hauptsitz befindet sich in Moskau. Produziert wurden/werden die Tupolev-Flugzeuge in den Flugzeugwerken Charkow/Ukraine (Tu-104, Tu-124, Tu-134), Kasan (Tu-160, Tu-214, Tu-334, Tupolev PAK DA), Uljanowsk (Tu-204), Samara (Tu-154) und Woronesch (Tu-28, Tu-144, ANT-25, Tu-16).

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Public Domain