Markenlexikon

Simson

Ursprungsland: Deutschland

Die Brüder Loeb Simson (1806 – 1862) und Moses Simson (1800 – 1868) betrieben ab 1850 ein Stoff- und Bekleidungsgeschäft in Suhl. Bereits ihr Vater Simson Lippmann hatte in Schwarza mit den Textilhandel begonnen. Nebenher erwarben sie Anteile an mehreren Hammerwerken, u.a. am »Alten Stahlhammer« in Suhl-Heinrichs. 1856 gründeten sie das Suhler Eisenwerk, 1862 die Bajonett- und Ladestockfabrik Gebr. Simson und 1863 gemeinsam mit dem Mechaniker Karl Luck die Gewehrfabrik Simson & Co. Luck. Luck schied 1884 aus der Firma aus, das Unternehmen firmierte anschließend unter der Leitung von Moses' Sohn Gerson Simson (1845 – 1904) als Simson & Co.

Ab Mitte der 1890er Jahre expandierte Simson in neue Geschäftsfelder, u.a. Fahrräder (ab 1896), Möbel (ab 1907) und von 1911 bis 1933 baute das Unternehmen auch Automobile. Während des Ersten Weltkriegs war Simson nicht nur der größte Arbeitgeber in Suhl, sondern auch einer der führenden deutschen Hersteller von Rüstungsprodukten (Gewehre, Pistolen, Feldtelegraphengeräte, Sanitäts- und Munitionswagen, Flugabwehrkanonen, Flugmotoren). Ab 1919 stellte Simson die Produktion teilweise auf Zivilprodukte wie Sportgewehre, Kinderroller, Kinderwagen und Automobile um, blieb aber auch weiterhin ein wichtiger Lieferant von Handfeuerwaffen für Armee und Polizei. Zu dieser Zeit war Simson der einzige offiziell zugelassene Ausrüster der Reichswehr mit Handfeuerwaffen.

1934 wurde die jüdische Familie Simson von den Nationalsozialisten enteignet; das Werk firmierte nun als Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke (BSW) – in Berlin gab es bereits seit 1899 eine Simson-Niederlassung. Unter der Marke BSW erschien 1936 ein Mofa (Motorfahrrad) mit Sachs-Motor auf dem Markt, das heute als erstes Kleinkraftrad aus Suhl angesehen wird. 1939 wurde BSW ein Teil des Rüstungskonzerns Wilhelm-Gustloff-Werke, sodass während des Zweiten Weltkriegs wieder ausschließlich Waffen hergestellt wurden. Arthur (1882 – 1969) und Julius Simson (1884 – 1953), die beiden noch lebenden Söhne von Gerson Simson, emigierten 1936 erst in die Schweiz, dann in die USA, wo ihre Erben noch heute leben. Nach Deutschland kehrten sie nie wieder zurück.

1945 kam das Werk unter Kontrolle der staatlichen Sowjetischen Aktiengesellschaft Awtowelo (SAG AWO) und wurde teilweise demontiert. Zunächst fertigte AWO/Simson u.a. Fahrräder, Haushaltsgeräte, Werkzeuge, Kinderwagen, Jagdwaffen und ab 1950 Viertakt-Motorräder auf Basis der Vorkriegs-BMW-R25 (AWO/Simson 425, ab 1956 Simson Sport 425 S). 1952 gaben die Sowjets das Werk an die DDR zurück.

Ab 1955 konzentrierte sich die Firma auf die Produktion von Mopeds (Motor + Pedalstarter), Mokicks (Motor + Kickstarter) und Leichtkrafträder mit 50-Kubikzentimeter-Motoren. Die Motorrad-Produktion wurde 1961 eingestellt (fortan war MZ in Zschopau alleiniger Motorrad-Produzent der DDR). Die ersten Simson-Mopeds zu DDR-Zeiten waren das SR 1 (1955 – 1957) und SR 2 (1957 – 1964). Der Motor stammte noch vom Büromaschinenwerk Rheinmetall Sömmerda, daher die Modellbezeichnung SR (Simson-Rheinmetall).

Simson
Simson

Ab 1964 kam die sogenannte Vogelserie in den Handel: Spatz (1964 – 1971), Schwalbe (1964 – 1986), Star (1964 – 1975), Sperber (1966 – 1972) und Habicht (1972 – 1975), allesamt Mockicks oder Roller (Schwalbe) mit 50-Kubikzentimeter-Zweitaktmotor und mit einer Höchstgeschwindkeit von 60 km/h bzw. 75 km/h (Sperber). Vor allem das Modell Star war bei Jugendlichen der DDR beliebt, da es bereits im Alter von fünfzehn Jahren mit einem Moped-Führerschein gefahren werden konnte.

1975 wurde die Vogelserie durch die sportliche S-50-Modellreihe (ab 1980 S 51) abgelöst, die sich dank robuster und einfacher Technik, gutem Fahrwerk, relativ hoher Geschwindigkeit (60 km/h), geringem Verbrauch (2,5 – 2,8 l/100 km) und großer Reichweite (über 300 km) ebenfalls sehr gut verkaufte. Von 1982 bis 1988 gab es die Variante S 51 E mit Enduro-Fahrwerk, verstärktem Rahmen, Hochlenker, hochgelegtem Auspuff mit Hitzeschutz, Stahlfelgen, Stollenreifen und Elektronikzündung. Für den westdeutschen Markt brachte man 1983 das Modell Super 80/Super S 80 mit 70-Kubikzentimeter-Motor heraus, das später auch in der DDR unter der Bezeichnung S 70 verkauft wurde. Der Motorroller SR 50/80 (1986 – 2002) löste 1986 die KR 51 Schwalbe ab. Von 1955 bis 1990 produzierte Simson in Suhl über fünf Millionen Kleinkrafträder.

1990 wurde das Unternehmen, das seit 1969 als Fahrzeug-und Jagdwaffenwerk Ernst-Thälmann Suhl (FAJAS) firmierte, in eine Zweirad- und eine Waffenfirma aufgeteilt. Die Erben der Simson-Familie, die 1992 bei der Privatisierung der abgespaltenen Jagd- und Sportwaffenfirma mitboten, aber nicht zum Zuge kamen, erhielten 1993 aus dem Treuhandfonds eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 18,5 Millionen Mark. Die Waffenfirma führt seit 1994 den Namen Merkel Jagd- und Sportwaffen und hat ihren Sitz weiterhin in Suhl; die Firma Gebrüder Merkel war ein alteingesessener Suhler Waffenhersteller gewesen, der ab 1968 zum gleichen Staatsunternehmen wie Simson gehört hatte.

In den 1990er Jahren produzierte Simson weiterhin verschiedene Kleinkrafträder, doch die zuvor hohe Nachfrage nach Klein- und Leichtkrafträdern, die nur eine Folge des Automangels in der DDR war, ging in dieser Zeit stark zurück. Im Jahr 2000 musste Simson schließlich Insolvenz anmelden. Zwar fand sich ein Investor, der das Unternehmen weiterführte, doch 2002 kam es zu einer erneuten Insolvenz. Anfang 2003 wurden Maschinen, Werkzeuge, noch vorhandene Fahrzeug- und Ersatzteile sowie die letzten Fahrzeuge versteigert. Den Großteil der Vermögenswerte erwarb die Firma MZA (Meyer-Zweiradtechnik-Ahnatal), die den Ersatzteilvertrieb fortführt und neue Teile produziert – zunächst in Suhl und seit 2019 in Meiningen. Das ehemalige Simson-Werk in Suhl ist heute ein Gewerbepark (Gewerbepark Simson).

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Pixabay.com, Public Domain