Markenlexikon

Siemens

Ursprungsland: Deutschland

Bevor der Elektrotechniker Ernst Werner von Siemens (1816 – 1892) gemeinsam mit dem Berliner Universitätsmechaniker Johann Georg Halske (1814 – 1890) und seinem Vetter Johann Georg Siemens (1804 – 1878; als Geldgeber) im Oktober 1847 in Kreuzberg bei Berlin die Telegraphen-Bau-Anstalt Siemens & Halske gründete, hatte er bereits mehrere bahnbrechende Erfindungen gemacht. 1841 entwickelte er ein neuartiges Galvanisierungsverfahren, 1846 einen druckenden Zeigertelegrafen und 1848 eine Maschine, die Leitungsdrähte mit Guttapercha, dem Milchsaft einer malaysischen Baumart, überzog und damit isolierte. Seine bedeutendste Erfindung war jedoch 1866 die Dynamo-Maschine, die die Erzeugung von Starkstrom und damit die industrielle Nutzung der elektrischen Energie ermöglichte.

Auch seinen Brüdern Friedrich und Wilhelm (in England nannte er sich William) gelangen mehrere Neuerungen, so 1856 der Regenerativgasofen, der wesentlich höhere Temperaturen erreichte als die bis dahin verwendeten Modelle, und 1864 der gemeinsam mit den französischen Brüdern Pierre und Emile Martin entwickelte Siemens-Martin-Stahlofen, der erstmals auch die Wiederaufbereitung von Schrott ermöglichte. Johann Halske zog sich bereits 1867 aus dem Unternehmen zurück, da es mit den Siemens-Brüdern immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Kurs des Unternehmens gekommen war.

Siemens & Halske beschäftigte sich anfangs vor allem mit der Errichtung von Telegrafenverbindungen in Europa und Asien. 1874 verlegten die Firmen Siemens & Halske und Siemens Brothers (England) mit Hilfe des Kabellegerschiffes Faraday das erste dauerhaft funktionsfähige transatlantische Kabel zwischen Irland und den USA, das bis 1931 in Betrieb blieb. Nachdem Alexander Graham Bell 1877 in den USA das Telefon entwickelt hatte, wurde Siemens mit seiner Variante, dem Siemensscher Fernsprecher, der auf dem Bellschen Modell basierte, auch zum führenden deutschen Hersteller von Telefonanlagen.

1879 baute Siemens die erste Elektro-Lokomotive der Welt (ein Fahrgestell mit Elektromotor), 1881 den weltweit ersten elektrischen Straßenbahntriebwagen und von 1894 bis 1896 die erste elektrische U-Bahn auf dem europäischen Festland in Budapest. Darüber hinaus installierte das Unternehmen in vielen Städten Ampelanlagen und Straßenbeleuchtungen. Zu einem Verkaufsschlager avancierte ab 1905 die von dem Siemens-Mitarbeiter Werner Bolton entwickelte Tantallampe, deren Glühfäden aus dem hochschmelzenden Schwermetall Tantal bestanden.

Siemens
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Bedingt durch die zahlreichen internationalen Aktivitäten gründete Siemens schon früh auf der ganzen Welt Niederlassungen, Tochtergesellschaften und Produktionsstätten. Das britische Unternehmen Siemens Brothers wurde infolge des Ersten Weltkriegs von der dortigen Regierung beschlagnahmt und später an ein englisches Unternehmen verkauft.

1903 erwarb Siemens & Halske die Nürnberger Elektrizitäts AG, die 1873 von Johann Sigmund Schuckert (1846 – 1895) gegründet worden war. Eine weitere bedeutende Akquisition war 1925 die Übernahme der Firma Reiniger, Gebbert & Schall aus Erlangen, die 1896 die ersten Röntgen-Röhren für die medizinische Diagnostik auf den Markt gebracht hatte. Siemens selbst stellte u.a. EKG-Geräte (ab 1911) und elektrische Hörgeräte (ab 1913) her.

Die Siemens-Fabrikanlagen, die sich im Laufe der Jahre von Berlin-Kreuzberg über Charlottenburg bis nach Spandau ausbreiteten, erhielten 1914 den Namen Siemensstadt. Ab 1904 wurden hier auch Wohnungen, Schulen, Kirchen, Kindergärten, Sportanlagen und Kleingärten für die Siemens-Beschäftigten errichtet. Da die Werke und die Verwaltung in West-Berlin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem politisch unsicheren Gebiet lagen und die Wege zu den Absatzmärkten nun unwirtschaftlich lang waren, verlegten die Siemens-Gesellschaften ihre Verwaltungen 1949 nach München (Siemens & Halske) und Erlangen (Siemens-Reiniger, Siemens-Schuckert). Berlin ist jedoch bis heute offizieller Siemens-Unternehmenssitz.

Ähnlich wie der ebenfalls in Berlin ansässige Konkurrent AEG, mit dem mehrere Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurden (1903 Telefunken, 1919 Osram, 1969 KWU Kraftwerk Union, TU Transformatoren Union), die später meist in den Besitz von Siemens übergingen (1976 Osram, 1977 KWU, 1987 TU), stellten die Siemens-Unternehmen bald alles her, was dem Bereich Elektrotechnik zugeordnet werden kann (u.a. 1905 Elektrofahrzeuge und Hausstaubsauger, 1913 Bügeleisen, Wasserkocher, Kochplatten und Heizöfen, 1923 Rundfunkgeräte, 1926 Kochherde, 1927 Kühlschränke, 1928 Waschmaschinen und Wäscheschleudern, 1935 Handstaubsauger, 1954 Fernsehgeräte, 1959 Großrechenanlagen, 1965 Kernreaktoren, 1964 Geschirrspüler). Von 1921 bis 1972 betrieb Siemens ein eigenes Bauunternehmen (Siemens-Bauunion), das Bauvorhaben für die Siemens-Gesellschaften ausführte (u.a. Autobahnen, Bahnstrecken).

Mitte der 1950er Jahre begannen Siemens & Halske, Siemens-Schuckert und auch die AEG mit der Entwicklung von Kernreaktoren, wobei die grundlegenden Technologien von den US-Konzernen General Electric und Westinghouse Electric stammten. 1965 erhielt Siemens-Schuckert den Auftrag zum Bau des Kernkraftwerks Obrigheim, das 1969 ans Netz ging. Im gleichen Jahr schlossen die AEG und Siemens ihre Aktivitäten im Bereich der traditionellen Kraftwerke in der Kraftwerk Union (KWU) zusammen. Gleichzeitig gründeten beide Partner die Transformatoren Union (TU). Die KKW-Sparten beider Unternehmen wurden erst 1973 in die KWU integriert. Die KWU war am Bau zahlreicher Kernkraftwerke in Argentinien, Brasilien, Deutschland, Iran, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Spanien beteiligt.

1966 schlossen sich Siemens & Halske, Siemens-Schuckert und Siemens-Reiniger zur Siemens AG zusammen. Damit waren erstmals alle Siemens-Aktivitäten unter einem Dach vereint. Initiator der Fusion war Ernst Albrecht von Siemens (1903– 1990), der damalige Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens & Halske und Siemens-Schuckert.

Ab den 1970er Jahren war Siemens neben mehreren anderen Unternehmen wie AEG, Brown Boveri, Düsseldorfer Waggonfabrik, Krauss-Maffei, Krupp, Linke-Hofmann-Busch, Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Thyssen-Henschel an der Entwicklung des Hochgeschwindigkeitszugs ICE (InterCity Express) und der Magnetschwebebahn Transrapid beteiligt. Die Serienfertigung des ICE-1 begann 1988, ab 1989 wurden die Züge an die Deutsche Bahn ausgeliefert. Zunächst war Siemens neben AEG und ASEA Brown Boveri (ABB) vor allem für die elektrische Ausrüstung zuständig. Infolge mehrerer Fusionen in der Schienenfahrzeugbranche in den 1990er Jahren blieben letztlich nur Alstom und Siemens als Hersteller der ICE-Züge übrig. Außerdem produziert Siemens E-Lokomotiven, Straßenbahnen, Nahverkehrszüge sowie S-Bahnen und U-Bahnen. Das Transrapid-Projekt wurde 2008 in Deutschland aufgegeben.

Siemens
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Mit dem digitalen Wählsystem EWSD, das das analoge Vermittlungsverfahren abgelöste, gelang Siemens ab 1980 eine weltweiter Verkaufsschlager. Das EWSD-System wurde bis Ende der 1990er Jahre an Kunden in mehr als einhundert Ländern geliefert und avancierte zum meistverkauften Festnetz-Vermittlungssystem der Welt. Das bereits auf dem ISDN-Standard basierende Vermittlungssystem Hicom für private Kommunikationsnetze integrierte ab 1986 erstmals alle Kommunikationsformen (Sprache, Text, Bilder, Daten) in einem Netz, auf einer Leitung und unter einer Rufnummer.

Seit der Jahrtausendwende zog sich Siemens aus zahlreichen Geschäftsbereichen zurück. Teilweise entstanden aus diesen Sparten neue Unternehmen wie Epcos (Elektronische Bauteile), Gigaset (Telekomtechnik), Infineon (Halbleiter), Osram (Lichttechnik), Sivantos (Hörgeräte), Unify (Enterprise Communications) oder Wincor-Nixdorf (Kassen- und Banksysteme). Andere frühere Siemens-Teile verschwanden unter dem Dach von Unternehmen wie BenQ (Mobilfunk), Bosch (Hausgeräte), Continental (Fahrzeugtechnik), Framatome (Kernreaktoren), Fujitsu (Computer) oder Nokia (Netzwerke).

Die Bereiche Medizintechnik (seit 2018 Siemens Healthineers) und Energietechnik (seit 2020 Siemens Energy; Dampf- und Gasturbinen, Energieübertragung und -verteilung, Generatoren, Kompressoren, Kraftwerkstechnik, Windkraftanlagen) wurden verselbstständigt.

Die Siemens AG ist heute in den Geschäftsbereichen Antriebstechnik (u.a. Elektromotoren, Generatoren, Getriebemotoren), Energie (u.a. Stromverteilungssysteme, Elektroinstallationstechnik, Energieautomatisierung), Gebäudetechnik (u.a. Brandschutz, Gebäudeautomation, Sicherheit, Produkte für Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen), Industrie-Automatisierungssysteme, Mobilität (u.a. Bahnelektrifizierung, Bahnautomatisierung, Infrastruktur für autonomes Fahren, Schienenfahrzeuge, Tunnelmanagement, Verkehrsmanagement) und Software (u.a. Industrie-Software, Software für Energieverteilung, Software für Produkt-Lebenszyklus-Management) tätig.

Die Siemens-Familie hält am Grundkapital der Siemens AG noch einen Anteil von rund sechs Prozent (Stand 2020). Der Rest des Aktienkapitals gehört institutionellen Anlegern und Privataktionären.

Text: Toralf Czartowski • Fotos: Unsplash.com, Pixabay.com, Public Domain